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Rubrik: Text und Schriftensammlung

Grafen spezialisiert auf junge Witwen

von Thomas Josef Möhler, Lohrer Echo 30.05.2008

Rienecker Hofleben: Frauen des Adelsgeschlechts sollen für Nachwuchs sorgen und noch Ländereien mitbringen

Lohr. “Intimitäten aus dem Hofleben der Rienecker, vor allem der Rieneckerinnen” in drei Kurzvorträgen versprach Herbert Bald, der Leiter des Spessartmuseums, am Donnerstagabend den Zuhörern im Rittersaal des Lohrer Schlosses. Seine Mitarbeiterin Barbara Grimm berichtete über die Frauen der Rienecker als faszinierende Persönlichkeiten.

Ungeachtet des Aussterbens im Mannesstamm mischen die Grafen von Rieneck nach Grimms Worten über die weiblichen Linien bis heute im europäischen Hochadel mit. In den Ahnenreihen der bayerischen Wittelsbacher, des spanischen, belgischen und englischen Königshauses seien die Rienecker heute noch präsent.

Die Töchter und Frauen der Rienecker seien als Kunstmäzeninnen, Stifterinnen, Äbtissinnen, Politikerinnen (sie führten die Regierungs- und Verwaltungsgeschäfte während der Abwesenheit ihrer Männer) und Wohltäterinnen aufgetreten. Leicht hätten sie es nicht gehabt, denn für ein adeliges Mädchen habe es bis zum Spätmittelalter im Grunde nur zwei Möglichkeiten gegeben: Heirat (oft schon mit zwölf Jahren) oder Gang ins Kloster (was vielfach ein selbstbestimmteres Leben als “draußen” ermöglicht habe).

Auch auf junge, gesunde Witwen habe man seinerzeit sein Augenmerk gerichtet, denn diese waren, so Grimm, “begehrenswerter als so manche Jungfrau: Kinder bewiesen ihre Fruchtbarkeit und zur Mitgift kam noch die Witwenrente.” Denn eine Hochzeit sei ein politischer Akt gewesen, “bei dem es um Geld, Prestige, Macht und Land ging”. Die Rienecker Grafen hätten sich “geradezu spezialisiert auf Witwenheiraten”.

Die Grafen von Rieneck mischen bis heute im europäischen Hochadel mit. Barbara Grimm, Historikerin Udelhilt von Grumbach und Rothenfels (um 1240 bis 1300) war nach Grimms Angaben reiche Alleinerbin und erst ungefähr drei Jahre alt, als sich Ludwig III. von Rieneck ihrer bemächtigte und sie bis zur Hochzeit an seinem Hof erziehen ließ. Durch die Heirat mit ihr habe der Graf nicht nur den Eigenbesitz der Grumbacher, sondern auch die Lehen Rothenfels und Neustadt einstreichen können.

Imagina von Bickenbach, Mene genannt (um 1315 bis 1367), sei eine der jungen Witwen gewesen. Ihr erster Ehemann, den sie mit rund 16 Jahren geheiratet habe, sei bereits nach zwei Jahren gestorben. Als nächster Ehemann sei Gerhard V. von Rieneck an der Reihe gewesen, mit dem sie sechs Töchter hatte, “von denen sie vier ins Kloster schickten”.

Gerhard und Mene ließen in Lohr um 1350 einen modernen Herrschaftssitz errichten, der sich im Mittelbau des heutigen Schlosses – um ein Geschoss verkürzt – erhalten hat. Auch die Gründung des Lohrer Spitals geht auf ihr Konto. Unter Thomas von Rieneck (um 1366 bis 1431) musste die Adelsfamilie laut Barbara Grimm 40 Jahre auf den Stammhalter warten.

Als Thomas’ Ehe 14 Jahre kinderlos geblieben war, habe sich sein alter Vater veranlasst gesehen, ein drittes Mal zu heiraten, sei aber kurze Zeit später gestorben. Auch Thomas’ erste Frau sei gestorben, ebenso die zweite, und einen Erben habe es immer noch nicht gegeben. Bis Katharina von Hanau (1408 bis 1460) auftauchte und den Grafen kurz nach ihrem 13. Gebietstag heiratete.

Diese schenkte Thomas laut Grimm gleich zwei Söhne, die beide Philipp hießen (I. und II.), ihrem Vater nachfolgten und endlose Streitereien gegeneinander vom Zaun brachen. Nach Grimms Worten kann man “davon ausgehen, dass sich Katharina öfter in die erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den beiden einmischte”. 1462 sei die Grafschaft endgültig geteilt worden.

Schönste von 22 Kandidatinnen Margarethe von Erbach (1508 bis 1574), bei der Hochzeit mit Philipp III. noch keine 14 Jahre alt, war nach Grimms Worten die schönste von 22 Heiratskandidatinnen. Doch die Jahre seien vergangen und die Ehe kinderlos geblieben. Am 3. September 1559 sei der letzte Graf von Rieneck “sanftmütig und vernünftig von diesem Jammertal” verschieden, wie Margarethe geschrieben habe.

Sie habe ihren Witwensitz auf Schönrain in dem kleinen Schloss bezogen, das ihr Mann auf den Resten des Klosters habe errichten lassen. Sie habe zahlreiche Besucher empfangen und als große Wohltäterin gegolten, “die Bettler und Kinder täglich speiste”. Mit Johann Conrad Ulmer, dem Reformator Lohrs, der 1566 in seine Heimatstadt Schaffhausen zurückgekehrt war, habe sie oft korrespondiert – wenn sie nicht gerade per “Kammerwagen” oder zu Wasser auf Reisen gewesen sei.