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Das Tympanon von Schönrain-Massenbuch

seine Zusammenhänge und ikonografische Bedeutung

Bereits die Identifizierung des in Franken sehr seltenen und ursprünglichen karolingischen Portals hatte ergeben, dass es sich bei der Stätte Schönrains um weit mehr als eine an dieser Stelle reichlich abgelegenen, mehr oder minder zufälligen Klostergründung einer reformfreudigen Zeit handeln muss. So dürften also die hirsauische Klostergründung wie auch die Beziehungen zu Thüringen bereits eine spätere Stufe sein, wie Waldemar Weigand in seiner tief schürfenden historischen Dissertation (Teildruck 1951 „Das Hirsauer Priorat Schönrain am’ Main) dargelegt hat.

Obgleich der Rieneckerbau der heutigen Burgruine noch mancherlei romanische Baureste birgt und z. T. aus Steinen der Klosterkirche erbaut ist, so erscheint mir, dass einer der wichtigsten Hinweise auf die vorhirsauische Zeit jenes Portaltympanon ist, das heute in der Außenwand der Kirche von Massenbuch eingelassen ist.

Bevor wir in die Betrachtung der Einzelheiten eintreten, sei schon vorweggenommen, dass es sich hier um ein Zeugnis früher Plastik in Franken handelt, das einmalig ist, sich würdig in die wenigen so hoch qualifizierten Zeugnisse früher romanischer Kunst einreiht und wie diese in Franken weit weniger Beachtung gefunden hat als sie es ihrer inhaltlichen wie technischen Leistung nach längst verdient hätten.

Allerdings mag hierbei die frühere rein historische und weitgehend in der ersten Jahrhunderthälfte üblichen positivistischen Betrachtungsweise die Schuld haben, der gelegentlich die KDB sogar zum Opfer fallen, da es sich bei der Materie um derart komplexe Probleme handelt, die eigentlich erst so richtig mit der Weiterentwicklung der Fotografie und Filmtechnik einerseits und den nun durch die moderne Verkehrsentwicklung andererseits, durch Vergleichsmöglichkeiten nicht allein auf europäischer, sondern auch kontinentaler Basis – vor allem den Vorderen Orient betreffend – angegangen werden können.

Vorauszuschicken wäre ferner, dass sich bereits in den Dreißigerjahren eine mehr vom völkerkundlich-mythischen herkommende Betrachtungsweise anbahnte, die vor allem von Männern wie Adama van Scheltema, Strygowsky und Emerich Schaffran – um nur einige zu nennen – getragen und fundiert war. Der Missbrauch und die missbräuchliche Adaption mancher – oft falsch verstandener – Ergebnisse im politischen Bereich, kann den wissenschaftlichen Wert dieser Erkenntnisse keineswegs beeinträchtigen, vor allem nicht, was fotografisch und deskriptiv einwandfrei geleistet worden ist. In unserer Gegenwart – die weitgehend bereits in weiterem Sinne – Vergangenheit ist, glaubt man den ausufernden Naturwissenschaften – selbst in kirchlichem Bereich – in einer Art völlig missverstandenen sog. II. Aufklärung, genauer „aggiornamento” und „Entmythologisierung” genannt, dem „Zeitgeist” seinen – wie sich zeigen wird – kurzlebigen Tribut leisten zu müssen. – Dem steht bereits die kräftige Unterströmung entgegen – eine psychologische Notwendigkeit, die in der menschlichen Natur verankert liegt und sich niemals vergewaltigen oder gar beseitigen lässt – das Wiedererwachen des Sentiments, des Gefühls, das Hinabsteigen in frühere Schichten (etwa nach der Archetypenlehre Carl Gustav Jungs) das oft geradezu spasmische anklammern an den Begriff der „Nostalgie”, ein Modewort, das nur sehr unzulänglich für Geschichte und Tradition steht.
Es kann nicht meine Aufgabe’ sein, mich hier mit kulturkritischen Vorgängen auseinanderzusetzen, es scheint mir jedoch dringend notwendig, gerade bei der frühen, ja geradezu Ursymbolik, die auf dem Massenbucher Tympanon wirksam wird, diese Bemerkung
vorauszuschicken, um zu beweisen, dass die moderne Kunstgeschichte wenn sie nicht bewusst fragmentiert gehalten werden soll, eben nicht „entmythologisiert” werden kann, was weder der Wahrheit und Objektivität noch ihrer Aufgabe entspricht.

Was uns hier am Untermain, diesem hochinteressanten, von kurzlebigem Managerwahnsinn weitgehend unberührtem kulturell wie – von seiner Natur wie Struktur her – einmaligem Gebiet, in dieser Hinsicht besonders berührt, ist eben der Umstand, dass durch Objekte, die durch Geschichte, Mythologie, Stilkritik und Christentum, in ihrer speziell fränkischen Prägung, Erkenntnisse erwachsen können, die weit über jede Lokalhistorie hinausgehen und gerade auch für die kommende Kunstgeographie Europas gültig werden können.

Für Schönrain-Massenbuch mögen aber gerade diese Betrachtungen vielleicht – wie auch jene karolingische Pforte – ein deutlicher faktischer Hinweis sein, dass Schönrain gerade an dieser, nicht eben für eine Besiedlung im allgemeinen und ein Kloster im besonderen, bequemen Stelle errichtet worden ist, so dass sagenhafte Behauptungen realistischer werden könnten.

Zunächst nun die eingehende Beschreibung des Tympanons

Wie für viele fränkische Tympana ist das Material untermainischer Rotsandstein wie für Plastik der früheren romanischen Epoche in Franken – insbesondere für Bauplastik – meistens verwendet. Dies aus Gründen größerer Dauerhaftigkeit Witterungseinflüssen gegenüber und andererseits wegen seiner leichteren Formbarkeit dem schwierigen Muschelkalk gegenüber wie z. B. beim früheren Portalstein in Wegfurt am Kreuzberg und dem – späteren – Portal von St. Sigismund-Oberwittighausen. Rotsandstein ist auch – von sehr ähnlicher Sorte – das Karolingische Portal in der Ruine von Schönrain und die späteren hirsauischen Bauteile ebendort.

Das Tympanon ist kein reiner Halbkreis, sondern – wie meist ein Kreissegment. Die Form des Kreissegments wird durch einen breiten Rand, der palmettenbesetzt ist, im Innern wiederholt. Dieses innere Segment ist aber eingetieft. Genauer: aus ihm sind in flachem Relief zwei liegende Löwen herausgearbeitet, die an dem das Segment und somit das gesamte Tympanon beherrschenden mehrteiligen Baum fressen, dessen Äste weit über die Tiere gebreitet sind. Der Baum ist eigentlich dreiteilig, der Stamm aus zwei doppelstreifigen Wulsten zusammenlaufend, die in kräftigen vierblätterigen (v. B. über dem Löwen rechts) und einer knospenartigen Volute über beiden enden. Auf halber Höhe des streifigen Stammes biegt ein weiterer Ast in der Höhe der fressenden, mit schlichten Mitteln, gierig mit zähnestarrenden geöffneten Rachen dargestellten Löwenmäulern beiderseits ab, so dass man den Eindruck bekommt, als hätten die beiden Löwen die ursprünglich sicher ebenfalls vorhanden gemeinte Palmette bereits abgefressen. An der Stelle, wo die Äste des weit ausladenden Baumes sich teilen, sitzt eine tannenzapfenähnliche bzw. mittelmeerischen Pinienzapfen oder dattelbündelähnliche Frucht, die beiderseits von zweiteiligen, palmetten- bzw. akanthusähnlichen Blättern flankiert wird. Die beiden Löwen selbst – sie sind katzenartig mit rundlichen Ohren dargestellt – sollen offenbar einen männlichen Löwen (v. B, rechts), bei dem die Mähne deutlicher in drei „Schichten übereinander”, langhaarig gekennzeichnet ist, während das Löwenweibchen eine wesentlich dünnere Halsmähne bzw. Behaarung angedeutet hat. Die Läufe sind mit Kreisen bedeckt, die offenbar Flöckchen andeuten sollen. Der Körperbau ist bei beiden typisch für Löwen in Umriss von Rückenpartie und flach auf die Erde gelegten Hinterläufen, wobei beide – ebenfalls für Löwen typisch – den Schwanz zwischen die Hinterläufe genommen ‘haben und halbkreisförmig über die Hinterläufe geradezu drapiert halten. Die Schwanzquaste läuft beim Löwen in eine zweiteilige Palmette und eine Volute aus, während die der Löwin etwas über der Erde schwebt und aus vier Palmetten besteht. Die beiden rechten Vorderpfoten der Tiere sind wie gierig verkrallt etwas erhoben, was jedoch als nicht bewältigte Perspektive oder als dekorative Flächenführung erklärt werden kann. Baum wie Tiere sind geschickt in das flachbandgerandete Segment hineinkomponiert, dennoch trägt die Gesamtkomposition einen deutlich archaischen Charakter, der eindeutig von der Buchmalerei oder frühen offensichtlich orientalischen Textilien abzuleiten ist.

Das ganze ist von einem reichen Palmettenkranz umgeben, in etwas flacherem Relief gearbeitet. – Die von einem Doppelband umschriebenen und von einem ebensolchen horizontal verbundenen Palmetten sind 3-, 4-, 5-, 6-, 7-, 8-, 9- und 11-Blätterig, sitzen auf Doppelvoluten auf, gelegentlich zu drei großen Blättern zusammengefasst, so dass man an Akanthus denken könnte. Auch spitz – wie frühklassischer Akanthus – endende Blätter sind vorhanden. In einem Falle (unten zweite, v. B. rechts) umrahmen zwei dürftig gearbeitete Blätter; ein drittes Blatt, das auch eine Frucht sein könnte. Die beiden Eckpalmetten sind heute zerstört. – Zwischen den so verschiedenartigen umschriebenen Palmetten gleichen die Zwischenräume längliche, lanzettförmige spitze Doppelblätter aus, die wiederum an frühen Akanthus erinnern, eine Kombination übrigens, die sowohl in karolingischen wie ottonischen Miniaturen vielfach auftritt. – Das gesamte Tympanon ist von einem einfachem Band gesäumt, das sich in den Horizontalecken verbreitert, eine Technische Maßnahme wohl, die dem offenbar ursprünglich freitragenden Segment größeren Halt im Portalzusammenhang verleihen sollte. Nun noch die Maße: Grundfläche des Segments: 1,20 m, Scheitelhöhe des Segments (Mitte) 50 cm. Der Gesamteindruck – wenn man die Maße nicht kennt – ist ein ausgesprochen monumentaler und lässt eher an eine doppelte Größe, wenn nicht mehr, denken.

Das Baumotiv

Bevor man an die stilkritische Analyse und damit die zeitliche Einordnung des Tyrnpanons – bei weitem die wichtigste Plastik von Schönrain – herangeht, ist es notwendig, auf das Baummotiv einzugehen! Was kann gerade dieses Motiv, noch dazu mit gefräßigen Löwen umgeben, von einem Palmettenkranz besonderer Prägung umrahmt, an dieser Stelle veranlasst haben ?
Auf Grund meiner früheren Forschungen, insbesondere die bauplastischen Motive des Würzburger Domes, Neustadt am Main, im alten Hochstift Würzburg und Mainz, das Badisch und Württembergisch-Fränkische betreffend, nicht den dehnbar-verunklarenden Begriff „Mainfranken” also, ist es mir möglich gewesen zu beweisen, welch starkes Verhältnis unsere Vorfahren selbst, wie auch ihre Vorgänger der Völkerwanderungszeit und insbesondere auch die Kelten zu Baum und fließendem Wasser besessen haben. – Erstaunlich ist auch die Beweglichkeit der frühen Bischöfe von den Frankenaposteln St. Kilian, Kolonat und Totnan, St. Arnual, Winfried, Bonitatius bis Willibald Willibrord, Thekla, Lioba und vieler anderer. Anlass waren meist die Romfahrten und jene ins HI. Land: sie brachten sämtlich Berührung mit den Heiligtümern Italiens, Roms, Byzanz’ Syriens und somit insgesamt mit den Werken von Sassaniden, Kopten, bis zur Antike selbst. St. Gregorius Magnus, einer der größten Päpste und Religionspsychologen und dazu ein Praktiker von Format, der bei aller Theorie niemals den Menschen mit seinen Bedürfnissen und Schwächen außer acht ließ; er sah wie die Menschen sind, angstvoll und sinnlich, stützebedürftig durch handfeste Symbole, sehnsüchtig nach Geborgenheit in Dunkel und Nacht der Wälder, Sümpfe und Winter Germaniens, nicht weniger in den hitzeflirrenden sonnenflammenden Pan-Stunden auf Plätzen und bizarren Felsen und Ebenen des Südens. Er hat seinen Missionaren Aufträge gegeben, wie sie praktisch zu handeln hätten. Er „entmythologisierte” nicht, sondern erfüllte uralte Menschheitsvorstellungen mit christlichem Geist, wo dies nur immer tragbar war. Doch lehrte er sie auch die „Unterscheidung der Geister”. Das galt insbesondere für die germanischen Völker mit ihrer Schicksalsangst, ihrem Fatalismus, ihrer Naturreligion und ihrem bereits überkommenen, teils aus dem Mittelmeer stammenden bereits einsturzreifen Götterhimmel. Die Weltesche Yggdrasil war am Verdorren, weil ihren Wurzeln das ewige Wasser fehlte. – Noch aber grünten die Bäume – in unserem Falle Frankens – sie schlugen wieder aus, wenn Strom und Bäche vom Eise befreit waren. Man wusste es ja nie genau, ob das Eis nicht da blieb – wie vor undenklichen Zeiten. Das „Wilde Heer” stürmte noch immer regelmäßig über die Spessart- und Frankenwälder. Was konnte man tun in dieser geisterumwitterten Zeit. Man ehrte Bäume und Quellen, brachte ihnen Opfer, reinigte sie, umtanzte sie mit kultischen Tänzen, umgab sie mit Fruchtbarkeitsriten für Mensch und Tier. – Die moderne Völkerpsychologie, in der Völkerkunde heute ebenfalls durch die modernen Mittel der Fotografie, der Tonkonservierung, der Verkehrsmöglichkeiten zu Lande, Wasser und in der Luft, ergeben immer mehr Vergleichsmöglichkeiten zwischen den Völkern unerforschter Gebiete und unseren eigenen Vorfahren. Richtig, Einzelheiten mögen verschieden sein, die Grundhaltung aIIer Menschen erweist sich immer mehr als ähnlich, ja gleich, in Handeln wie bildender Kunst: Archetypen.

In einem modernen Werk über „Amulett und Talisman” (von Liselotte Hansmann / Lenz Kriss-Rettenbeck) ist der Baum wie folgt charakterisiert: er wird als Abbild des Kosmos erlebt. Seine Wurzeln “sind die Erde, die Nahrung und Halt gewährt, die Krone mit Blättern und Blüten ist das gestirnte Firmament, Kraft der Periodizität des Wachstums, Reife und Ruhe ist der Baum das Symbol des Lebens schlechthin. Doch ist er nicht Gott. In ihm manifestiert sich die Gottheit oder freundliche Geister und seine Früchte sind Brot des Lebens oder eine zauberische Kraft . . . Der Baum ist aber auch Kommunikationsmittel zwischen Gott und Mensch, Orakelstimme und Medium. Das geheimnisvolle Raunen der Blätter ebenso wie die in seine Zweige gehängten ehernen Stimmen (Becken und Glocken) . . . Opfer und Gaben werden auf seine Äste gelegt und der Stamm wird rituellen Salbungen unterzogen. – „Wir denken an das Zeus-Orakel in Dodona, Apollos heiligen Lorbeer in Delphi, Athenes Ölbaum.

In Deutschland und Germanien – wie bereits gesagt – Wotan war die Esche, Freya (Hulda) der Holunder (Holler) und Donar die Eiche heilig. Wir hatten an der Stelle der Festungskirche Marienberg ein ‘Huldaheiligtum, in Geismar musste St. Bonifatius – Winfried – ausnahmsweise ganz ungregorianisch – die Donareiche fällen. Ein Gottesurteil und Machtbeweis des Christengottes. – Eines der berühmtesten fränkischen Marienheiligtümer ist ‘Maria-Buchen. Das Marienbild aus der Buche, gleichsam das christliche Palladium. – Dem Baum ist die Quelle zugeordnet mit dem „Wasser des Lebens” schon bei der Weltenesche Yggdrasil aus der Edda. Das Motiv ist jedoch viel älter. Quellheiligtümer sind meist verbunden mit Bauheiligtümern. So sind z. B. die Zentralanlagen des badischen Frankenlandes (St. Sigismund/Oberwittighausen, St. Achatius, Grünsfeldhausen, St. Ulrich, Standort) übernommene Quellkulte aus kilianisch-bonifatianischer Zeit, die mit höchster Wahrscheinlichkeit in ähnlicher Weise mit altgeheiligten Stätten mit Baumkulten verbunden waren wie heute noch St. Kunigund/Burgerroth über dem Gollachtal, wo noch die uralte Kunigundenlinde grünt. Die Kirche in Holzkirchen liegt am fließenden Wasser und ‘ist von Quellen umgeben, die Kirche in Eiche! liegt in Mainesnähe. St. Maria im Grünen Tal liegt fast im Wald und zugleich am Wasser und das die fränkische Hochfläche beherrschende Fährbrück – Marienwallfahrtsort urfränkischer Prägung – hat seine Beziehung zu Wasser und Baum – der Name Opferbaum in allernächster Nähe ist mehr als aufschlussreich. Von St. Amorsbrunn im Odenwald bis Rengersbrunn in der Rhön ist das so – die Reihe ließe sich noch sehr verlängern. Wenn wir von der Vorzeit zur Bibel übergehen: Der Paradiesesbaum des Lebens und der Erkenntnis als Ursache der Sünde, des Hochmuts, Gott gleich sein zu wollen und der Lebensbaum der Erlösung das so symbolträchtige Kreuz als Verbindung vom Physischen zum Metaphysischen (vertikal) und von Lebewesen zu Lebewesen (horizontal) ist das Gängigste und Verständlichste, was den frühen Missionaren von St. Kilian bis St. Pirmin und Bonifatius die Christianisierung erleichtert haben mag. Erinnert sei an Christi Gleichnis vom Feigenbaum und den unfruchtbaren Baum, der ausgerissen und ins Feuer geworfen wird. Besonders eindrucksvoll auch der „Brennende Dornbusch”, in dem Moses das Gesicht der Göttlichen Majestät zuteil wurde. Dies nur einige wenige Beispiele, die erläutern sollen wie in heidnischer wie christlicher Zeit das Urphänomen der Verbindung des Göttlichen in einem Baum als Mittler immer bestanden hat.

Wir wissen welch hohe Verehrung in den alten Kirchen des Ostens wie des Westens das Holz vom wahren Kreuz Christi in Staurothek (Byzanz) und Kreuzpartikel genießt. Hier gerade z. B. in jenem von Neuhütten im Spessart, der vermutlich aus ottonischer Zeit stammt, und mit dem Massenbucher Tympanon ornamentale Beziehungen zeigt, worauf noch zurückzukommen sein wird. Vielleicht stammt er selbst sogar aus Schönrain.

Wir wollen auch nicht vergessen, dass in der Frühzeit Kirche wie Haus, oft auch Gefäß und Gebrauchsgegenstand aus dem billigen vorhandenem Holz gefertigt wurde, was natürlich wenig beständig gewesen ist. Das gilt auch für frühe Kruzifixe, Madonnen- und Heiligenstatuen und nicht zuletzt auch dem erhöhten Verschleiß unterworfenen Kirchen- und Hausmöbel. Ein schönes Beispiel für eine frühe Madonna befindet sich in den Bischöflichen Sammlungen, eine aus einem Baum geschnitzte byzantinisch beeinflußte Madonna (11./12. Jahrhundert) und – aus einer Steinplastik von Neustadt a. Main (von den frühen Ohorschranken ein hölzernes Bett aus der Vision St. Martins (heute im Museum auf der Festung). Auch bei Portalen und Chorschranken (wie in Neustadt St. Martin als Bischof z. B., und die später qotisch überarbeiteten Plastiken der sitzenden Madonna und des Kaisers Carolus) :besonders schön ersichtlich jedoch bei den Plastiken und Ornamenten des Neumünster-Kreuzgangs in Würzburg, ist festzustellen, wie sich die Entwicklung von der ins Holz übertragenen, dann auf Stein gemalten und später dann ins Relief gebrachte Buchmalerei in Gestalt wie Ornament entwickelt hat. Dasselbe gilt von Säulen und Säulchen. Durch Brand und Verwitterung, Mode und Unverstand ist da fast alles verloren gegangen. Wir sehen also, welch wichtige Funktion das Holz in der Frühzeit, ja bis weit herauf ins Barock gespielt hat.

Wer aber waren diese Leute, die das Bildwerk überhaupt in unsere Gegend gebracht haben?

Aus Moorfunden in Dänemark wissen wir, dass in ältester Zeit Bäume bestimmten Wuchses, roh bearbeitet, als Sexualsymbole und Wachstumsgottheiten verehrt wurden. In Bamberg haben wir – wie die beim Bau der Alten Mainbrücke in Würzburg offenbar sehr ähnlichen, heute verschollenen – aus der Pegnitz gefischten Steinmänner, die ebenfalls ihre ursprüngliche Holzdescendenz nicht verleugnen können.
Obgleich der Germane seine Götter – wie ein der Germania zu lesen – in heiligen Hainen unter Bäumen, also völlig abstrakt ursprünglich verehrte, änderten dies die Römer durch den Limes, die Handelsbeziehungen und auch die Streifzüge (vgl. Varusschlacht etc.). Die Völkerwanderung und vorher schon der Dienst germanischer Söldner im römischen Heer taten ihr übriges. In unserem Bereich müssen sehr starke Beziehungen handelsmäßiger Art bestanden haben. Erinnert seien nur an römische Schmucknadeln und Terra sigillata, die bei den Bauarbeiten in Neustadt am Main gefunden worden sind – ein Beispiel von vielen (1974).
Die frühen Glaubensboten brachten meist nur illuminierte Bücher, Kreuze und Meßgeräte mit, manchmal schon eine kleinere Madonna. (Vgl. St. Kilians- und Burkardus-Evangelien in der Würzburger Universitätsbibliothek !) Selbst in die karolingischen Evangeliare und Evangelistare fand der Lebensbrunnen und die Dreisproß-Baumornamentik ihren Eingang (vgl. Godescalc-Evangelistar Fränkisch 782, Paris, Nationalbibliothek), dort Brunnenziborium und fressenden Tiere an Lebensbäumen.

Man muss sich fragen, wieso war der Lebensbaum samt Lebenswasser geradezu unausrottbar, so dass er sich bis in die Gotik und Renaissance hinein gehalten hat ? Wie wir bereits gehört haben, versinnbildete der Baum das Firmament. Er gehörte zur indogermanischen „Heiligen Landschaft”, kam so nach Persien, Iran und Indien, war in der assyrischen und sassanidischen Kunst zu finden, bei den Ägyptern, Kopten, Phöniziern (Zypern) und selbst bei den Philistern in Palästina. Von der Levante geriet er dann nach Byzanz und trat seinen Siegeszug durch ganz Europa auf den meisterhaften Textilien byzantinischen und später arabischen Ursprungs an – nun als Ornament. In Neustadt am Main wurde bei Grabungen im Alten Kapitelsaal ein weiteres Bruchstück jenes langobardisch-dreistreifigen Steckwerk-Ornamentes gefunden, das sich – noch sichtbar polychrom – in den Sammlungen der Pfarrei Neustadt am Main befindet (Abb. in Schriften des Geschichtsvereins Lohr a. Main, Dr. Rudolf Kuhn: Versuch eine Deutung von Funden aus dem Abbruch der Klosterruinen, Lohr 1961 Abb. 3).

Da auch weitere Spuren auf Neustädter Funde vor der Hirsauer Reform im Zusammenhang mit Massenbuch hinweisen, die offensichtlich von langobardisch-lombardisch geschulten Künstlern geschaffen wurden, erscheint es mir, wie auch auf Grund anderer diesbezüglicher Zusammenhänge mit meinen Forschungen in Franken, nahe liegend, uns einmal das Lebensbaum-Motiv vorn der langobardischen Kunst her zu betrachten. Hierbei folge ich im Wesentlichen – was die eigentliche langobardische Zeit anbelangt – meinem verehrten Lehrer Prof. Emerich Schafiran (Die Kunst der Langobarden in Italien, Jena 1941). Er schreibt: In der germanischen Völkerwanderungskunst des Mittelmeerbeckens kommt der Lebensbaum oft nicht nur zwischen zwei Vögeln, sondern auch zwischen zwei Vierfüßlern vor, von denen es aber nicht immer klar ist, ob sie sich zum Lebensbaum feindlich oder freundlich verhalten. Dabei steht manchmal der Baum in einem stilisierten Krug mit Wasser (Lebenswasser) und bildet mit den beiden Tieren eine mythische Dreiergruppe, die sich in den neun Ästen des Baumes (oder nur zwei oder vier etc. möchte ich hinzufügen) auf jeder Seite wiederholt …” – In Würzburg können wir das nachprüfen an dem „Dreizehnerbaum” als Jahres- oder Weltenbaum am Sattelstein des Pfeilers am Neumünsterkreuzgang. Ein Dreispross (als Symbol der Trinität) in einem Gefäß befindet sich an dem berühmten Mariae-Verkündigungsportal der Würzburger Marienkapelle (um 1410) mit dem Gestalt gewordenen Pneuma des Heiligen Geistes. – Dieses nach 1170 entstandene Beispiel vom Neumünsterkreuzgang, das eindeutig aus der Holzbearbeitung herkommt und von langobardisch-lombardischen Steinmetzen gearbeitet ist, bewegt sich in derselben Ideenwelt wie das gesamte Lebensbaum-Motiv der Langobarden – stark stilisiert, wie bereits im griechischen archaischen Stil vorausgehend und selbst in der Hallstadt-Kultur. Es ist also ein indogermanisch-alteuropäisches Motiv, das der abstrakten arabischen-islamischen Kunst besonders zu pass kam und so als Krönungsmantelschmuck – allerdings in Form einer sechsästigen Palme, flankiert von zwei Löwen und Kamelen im Kampf, 1133/34 in Palermo für König Roger II. von Sizilien gefertigt, von Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen den Reichskleinodien hinzugefügt wurde.

Der Lebensbaum wurde zur Säule.

Zwei Säulen durchaus metaphysischen Charakters „Jachin” und „Booz” („Der Herr befestigt” und „in Ihm ist Stärke”) standen vor dem Allerheiligsten im salomonischen Tempel von Jerusalem. Eine Nachbildung dieser Säulen – verkleinert und in Stein – befindet sich aus hochromanischer Zeit an der Westwand des Seitenschiffes des Domes zu Würzburg.
Ein sehr frühes Beispiel dieser Säulen befindet sich aus karolingischer Zeit auf einem Türsturz, eingemauert an der Kirche zu Wegfurt in der Rhön, ein wirklich seltenes und wohl das früheste Beispiel der Vereinigung biblischer und germanischer Symbolik.

Mit höchster Wahrscheinlichkeit existierte ein eigener Kultplatz – ein gemeingermanisches Heiligtum der ‘Niedersachsen an bzw. auf den Externsteinen in Niedersachsen. Karl der Große hat die Weltensäule, die Irminsul niedergelegt, auch recht ungregorianisch, jedoch vielleicht aus einer strategisch-kriegspsychologischen Notwendigkeit heraus. Von durchaus ernstzunehmenden Forschern wird von einem in den Exsternsteinfeisen mit beachtlicher Monumentalität eingehauenen Kreuzabnahme-Relief (entstanden etwa Anfang des 12. Jahrhunderts, wahrscheinlich aber früher) behauptet, Nikodemus stehe auf einem merkwürdig mit Voluten „barock” verzierten Stuhl, der nichts anders ki, als die umgebogene – und damit überwundene Irminsul. Nun ist ein Stuhl an solcher Stelle schon ohnehin ikonographisch ungewöhnlich, vollends ein barocker. Wenn man nun die vielfachen Formen des germanischen oder mittelmeerischen Lebensbaumes mit diesem aufgerichteten „Stuhl” vergleicht, so ergibt sich eine beträchtliche Baum- und – im konkreten Vergleich etwa mit dem freilich etwas später entstandenen palermitanischen Krönungsmantel – Palmenähnlichkeit. Die Irminsul des Externsteine-Reliefs ist zweiteilig: kleine Spiral-Voluten am Stamm, ausladende bogige Doppeläste mit kräftiger Endvolute. Komplett hätte man sich zwischen den beiden Ästen die Sonne zu bestimmter Zeit des Sommersonnwendtages, dem höchsten germanischen Festtag, vorzustellen. Bei den meisten ornamentalen Abbildungen ist die Sonne durch einen Kreis, eine Frucht oder eine Blüte wiedergegeben.


Im langobardischen Bereich ist das Lebensbaum-Motiv in primitiver Ritztechnik bereits an den Kapitellen der Säulen der Krypta von San Secondo in Asti dargestellt (Schaftran Tf. 7 und 10). Wir wollen uns jedoch auf Darstellungen des Lebensbaum mit Tieren (wie in Massenbuch) beschränken. Da fressen z. B. geflügelte Löwen Blätter und Vögel Früchte von einem mehrteiligen Lebensbaum auf einer Schmuckplatte im St. Callixtus-Baptisterium in Cividale. Dort ist der germanische Lebensbaum überlagert von einem Flechtbandkreuz, das von zwei palmett-pyramidenartigen aus einer Doppelvolute sich entwickelnden weiteren Lebensbäumen flankiert wird. Dies ist also dasselbe System, das dann später alterierend bei den Querschiff-Türstürzen des Würzburger Domes angewandt wurde (einer davon heute im Museum auf der Festung). Bischof Bruno der Heilige ließ diese Türstürze in Würzburg von lombardischen Steinmetzen fertigen. Wenn man weiß, dass St. Bruno vor seiner Würzburger Fürstbischofswürde „Italienscher Kanzler” des HI. Röm. Reiches in Mailand war, dann ist das Thema nicht verwunderlich. Auf die weitere Bauplastik des Domes wie auch Neustadt a. Main etc. wird noch zurückzukommen sein. – Auf einer Chorschrankenplatte des Domes von Aauileja kommt das Motiv des dreiteiligen palmetten-irminsulartigen Lebensbaumes ohne Tiere mit und ohne Früchte linksseitig allein achtmal, rechtsseitig mit je zwei an den Blättern fressenden Vögeln viermal und dann – ineinander quadratisch verschachtelt noch achtmal vor. Es ist eine Meisterleistung ornamentaler Kunst. Die Blättergesamtform hat Ähnlichkeit mit Massenbuch, auch in der Unterteilung der Bäume (Sch. Tf. 33 a). Ähnlichkeit mit den ausladenden Baumästen in Massenbuch hat ein Reiterrelief in Civitä castellana (Tf. 41 b). Ein Löwe und eine Löwin gehen mit aufgerissenem, zähnestarrenden Rachen einen allerdings langgezogenen untergeteilten Lebensbaum auf einer fragmentierten Reliefplatte in S. Maria in Cosmedin en (Tf. 44 b). Ein Einhorn knabbert an einem Kreuz-Lebensbaum, der aus zweistreifigem Flechtwerk gebildet -ist auf einem Reliefplattenfragment in S. Saba in Rom (Tf. 49 c). Ein Stier und ein Löwe mit kleinerem Jungen greifen offensichtlich ein Lebensbauen-Rundkreuz (mit einem stilisiertem 8-Stern) an auf einem dreieckigem Türsturz im Tempietto longobardo in Cividale an (Tf. 49 d). Eine besondere Leistung langobardischer Bildhauerkunst ist eine Reliefplatte aus Ferrara: an einem hauptsächlich dreiteiligen Lebensbaum mit Blättern fressen paarweise ein Hirsch und ein Löwe, zwei kleinere Vögel, darüber zwei prächtige Pfauen, darüber streben zwei mehrfach gewundene Schlangen – die heiligen Tiere der Langobarden außer den Vögeln – ebenfalls dem Baume zu. Ähnliche Schlangen befinden sich auf zwei Pfeilerpiatten des Neumünsterkreuzganges ;in Würzburg, ebenfalls fressende Vögel. Man sieht also, dass die Themen über Jahrhunderte weg gleichgeblieben sind.


Während die genannten Steinbildwerke meist dem 8. Jahrhundert angehören, gibt es auch noch eine Darstellung mit Lebensbaum und flankierenden Löwen im Byzantinischen Museum von Athen aus dem 10. Jahrhundert (Abb. Antoine Bon „.Byzanz”, Nagel Verl. 1972). – Eine Besonderheit mit der Darstellung eines Lebensbaumes (im Sinne des Monatsbaumes vom Würzburger Neumünster-Kreuzgang) mit fressenden Vögeln, „Brezel Ornamenten” und raus hervorgehend einen darunter befindlichen kreuzangreifenden Drachen, ein etwa wandgroßes mit Goldblech beschlagenes Giebelhäuschen-Reliquiar befindet sich im Domschatz von Chur. Ornamental wie motivlich bestehen starke Zusammenhänge mit dem Neumünsterkreuzgang in Würzburg (wie ich in meiner Arbeit „Der Neumünsterkreuzgang zu Würzburg und das Walthergrab” Wzbg. 1960 nachweisen konnte).
Aber nicht allein im langobardischen Bereich ist das Motiv der am Baum fressenden Tiere beliebt gewesen: in den Westgotengräbern in Teruel und Pinos in Spanien fanden sich Gürtelschließen westgotischer Herkunft, die das Motiv mehrfach variiert zeigen. Besonders verwandte Züge mit dem Massenbucher Tympanon hat eine Schließe aus Teruel, wo ebenfalls zwei fast bärenähnlich halbaufgerichtete Löwen an einem zweiteiligen Baum fressen, der sich über ihren Köpfen in zwei lang überhängende Äste gabelt mit palmettenartigen Blättern an den Enden. Allerdings kommen noch aus der Wurzelgegend fünf palmettenartige Blätter hervor. Auf einer anderen Gürtelschließe ist dasselbe Motiv nur mit Kleinlöwen und vogelähnlichen Wesen und einem dreisprossigem Baum gleich dreimal übereinander dargestellt. Offensichtlich hatte das Motiv irgendeine talismanähnliche, apotropäische oder -glückbringende Wirkung, also einen offensichtlich magischen Sinn. Um das Motiv der zwei am oder vom Baume fressenden Tiere noch etwas abzurunden, sei auf das gleiche im Segment liegende Portaltympanon aus Marigny (Calvados) Normandie, hingewiesen. Die Situation des allerdings sehr gleichförmigen etwas langhalsigen Löwenpaares ist fast gleich, jedoch berühren die Vorderläufe den Baum, dessen oberer Teil abgesetzt ist und in einer Doppellage mit über den Köpfen der Tiere sich breitenden Palmettenblätter endet. Er trägt Massenbuch sehr ähnliche rundliche Palmetten. Auffallend ist auch, dass die beiden, ebenfalls zwischen den Hinterläufen gelagerten aber dann hochgestellten Schwänze, ebenfalls Palmetten-Schwanzquasten tragen, was die Ähnlichkeit mit den Massentbucher Löwen unterstreicht. Es dürfte sich in Marigny ebenfalls um das Werk von langobardo-lombardischen Künstlern handeln, scheint jedoch etwas jünger als Massenbuch zu sein.
Eine weitere Plastik, die der Anordnung von Massenbuch nicht nur thematisch entspricht und auch Marigny, war ein Relieffragment im Würzburger Fränkischen Luitpoldmuseum, ebenfalls ein frühes romanisches Tympanon. Nur sind dort die Tiere fast bärenähnlich und der Lebensbaum teilt sich in zwei mehr akanthusähnliche Äste mit Volute.
Herkunft des Reliefs dürfte das Würzburger Stadtgebiet sein, ob es erhalten ist, entzieht sich meiner Kenntnis, da ich keinen Zugang zum Depot des Mainfränkischen Museums habe.

Während der Arbeit über Schönrain erhielt ich den Beitrag der Grazer Professorin Dr. Herta Kollenz zur Festschrift für Frhr. Bolko v. Richthofen (z. 13. September 1974) „Bemerkungen zu einigen Sinnzeichen in spätheidnischer und frühchristlicher Zeit”. Ein dort (Abb. 11) abgebildeter liturgischer Kamm des HI. Adalbert aus dem Prager Domschatz (1996) zeigt auffallend ebenfalls Motive des Massenbucher Tympanons: einen vierteiligen Lebensbaum, oben zwei Spiralen, in halber Höhe zwei Äste mit Früchten, an denen rechts ein geflügelter zweibeiniger Greif, links ein ungehörnter, mit Hufen ausgestatteter Vierbeiner fressen. Letzterer hat den palmettenverzierten Schwanz ebenfalls zwischen die Beine über das Rückgrat geschlagen. – Ob der ebenfalls dort abgebildete Gurt des Reichsschwertes (Wien) mit dem eindeutigen Irminsul-Spiralmotiv (Abb. 12) wirklich erst Anfang des 13. Jahrhunderts ist, möchte ich bezweifeln, jedenfalls zeugt die Verwendung gerade am Gurt des Reichsschwerts für seine Verbreitung. – Kollenz zitiert auch in ihrer Arbeit zwei Predigten aus dem Bayern des 12. Jahrhunderts, in der Bekenner des Glaubens als „Fürsten und lirmesule der Christenheit” an anderer Stelle als „boome und irmesule der heiligen Christenheit” bezeichnet werden. Also waren zu dieser Zeit Baumund Irminsul als heilige Symbole noch allgemein geläufig. Auf den Galaterbrief St_ Pauls wird ebenfalls verwiesen (2, 9) „Baum” und „Säule” verfließen also ineinander, als ein Begriff.


Nach dieser Exkursion in einige europäische Länder, die sich sicher noch erweitern ließe, falls alle Museen und Depots zugänglich wären, zurück nach Franken.
Das Lebensbaum-Irminsul-Motiv hat hier eine breite Basis und lässt vielleicht, wie bereits angedeutet, Rückschlüsse auf die frühen Verhältnisse in unserem Gebiet zu.
Es würde natürlich den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen, wenn eine umfassende Analyse des Lebensbaum-Irminsul-Motivs versucht werden sollte. Ich habe das an anderer Stelle (Rudolf Kuhn, die Bauplastik des Würzburger St. Kiliansdomes. Der Würzburger Dom von 855 bis zur Gotik. Ungedrucktes Manuskript – sowie in meinem „Großen Führer durch Würzburgs Dom und Neumünster”, Würzburg 1968) eingehend getan und muss mich auf die notwendigsten Beispiele beschränken.

Die älteste – wenn auch kaschierte – Darstellung Säulenpaar ein Vortragkreuz flankierend und mit germanischem Ewigkeitssymbol (X) vereinigt, ist das Wegfurter Tympanon, wie ich bereits erwähnte. Es wundert nicht, dass man in dem Fuldischen nahen Gebiet so deutlich christlich wurde, war doch einerseits der heutige Kreuzberg in der Rhön der eigentliche „Heilige Berg” der Franken (vom Schwanberg abgesehen, daher auch die Bemühungen der Frankenapostel, die dort zuerst das Kreuz aufrichteten. Ein Brunnen in der Nähe von Wegfurt erinnert noch an St. Kilians Mission und ein sehr altes Radkreuz, das seine irische Herkunft nicht verleugnen kann. Dieses Kreuz auf hoher Säule (ein sehr ähnliches, jedoch wesentlich niederes steht bei der Kirche in Kreuzwertheim) an der Straße vom Kreuzberg nach Wasserlos könnte eine spätere Nachbildung des ältesten kilianischen sein und ich gehe wohl nicht fehl mit der Behauptung, dass der Kreuzberg ursprünglich entweder einen uralten Götterbaum oder – was wahrscheinlicher ist, infolge des dortigen Klimas – ebenfalls eine Nachbildung des Weltenbaumes, also eine Irminsul ähnlich jener der Exsternsteine und ihrer Varianten getragen hat.

Diese meine These wird erhärtet durch die Tatsache, dass es in Fulda St. Michael (geweiht 822) in der Krypta eine spiralverzierte Mittelsäule gibt, die bereits der Mönch BruunCandidus zu seiner Zeit als „Sinnbild Christi” erklärt, des Pantokrators also, des Beherrschers des Alls. Es ist dieses Symbol des Allherrschers konsequent nach dem uralten Himmelssäulenglauben angewandt, besser eigentlich – christlich gesehen – erfüllt, wie schon der Mönch Rudolf von Fulda zu karolingischer Zeit schreibt über die von Carolus Magnus in Sachsen zerstörte Irminsul (Mon. Germ. Scr. II, S. 676) …die Weltensäule …. columna quasi sustinens omnia . . . die Säule also die a I I e s trägt.” Dass es sich hier um eine gesamteuropäische, indogermanische Vorstellung handelt, geht z. B. auch aus der griechischen Atlassage hervor (Hesperidenäpfel), die an den „Säulen des Herkules” lokalisiert wird. Es darf hierbei kurz darauf hingewiesen werden, dass die Säule des gesamten Mittelmeerbereichs – wie übrigens auch der etruskische, griechische wie römische Tempel – nichts anderes als ein stilisierter Baum ist, vom rein Tektonischen abgesehen von hoher Symbolkraft bis in unser Jahrhundert, wo sie von der Betonbauweise ausgeschaltet worden ist. – Der Begriff der Weltensäule war also – ebenso wie der des Lebensbrunnens – allgemein auch in den kirchlichen Kreisen geläufig, man hatte mit ihm zu rechnen. Das war in Franken nicht anders als im Fuldischen. Nur sind uns aus der Frühzeit Würzburgs z. B. aus dieser Zeit, infolge der Holz- und Fachwerkbauweise der frühen Kirchen und Klöster, nichts erhalten bis in die Zeit Brunos des Heiligen, wie wir noch sehen werden. Sowohl in der Rhön wie im Spessart muss sich das Heidentum, oft vermischt mit dem jungen Christentum, lange gehalten haben. Das gilt nicht nur für das Mainviereck und das Maindreieck, sondern insbesondere auch für den eigentlichen Waldsassengau, also z. T. die heutigen nordbadischen Gebiete und – natürlich Thüringen. Auch hier würden bei aller Beziehung, die Schönrain dorthin hatte, die Motivvergleiche und der Gleichsetzung von Lebensbaum und Kreuz, vor allem noch im 11. und 12. Jahrhundert in den Tympana der frühen Kirchen dort, zu weit führen.
Berühmt sind allerdings und hierhergehörend als Vergleich, die Tympana von Aue (Kreis Zeitz) und Elstertnatitz, die jedoch beide wohl schon dem 12. Jahrhundert angehören.
Gerade im Zusammenhang mit den Exsternsteinen, dem Kreuzberg und anderen Orten Frankens, deren christliche Bedeutung weit in die Vorzeit hinabreicht (die badischen Zentralanlagen, Holzkirchen und Burgerroth z. B.), möchte ich behaupten, dass die Lage von Schönrain, wie die Festungskirche in Würzburg, der Dom dort, selbst St. Burkard und sehr wahrscheinlich auch das Areal von Neumünster, sowie Holzkirchen, St. Kunigund/ Burgerroth und St. Sigismund/Oberwittighausen, insbesondere aber St. Achatius/Grünsfeldheusen und sehr wahrscheinlich auch Neustadt a. Main, darauf schließen lässt, dass es sich ebenfalls um eine Christianisierung eines ursprünglichen heidnischen, wahrscheinlich Gauheiligtums handelt. Hierfür erscheint mir gerade auch das Motiv des Massenbucher Tympanons ein Beweis.

Die ältesten Beispiele des Lebensbaum-Motives runischer Art aus nachlangobardischer Zeit sind die Krypten-Eckkapitelle der Vierungskrypta des Würzburger Domes. Die Mitte dieser Krypta – nach der der gesamte Dom ausgerichtet wurde – ist ein quadratischer Brunnen, der bis tief in den Wellenkalk hineingearbeitet ist. Funde von Eberzähnen und Hirschgeweihen in der Schicht zwischen dem späteren Plattenbelag und der Felssohle lassen darauf schließen, dass es sich um eine ursprünglich heidnische Anlage handeln muss. Das Lebensbaummotiv in den Ecksäulenkapitellen zeigt den Zusammenhang zwischen Brunnen und Baum, wie bereits erläutert. Einen ebenfalls ehemals heidnischen Brunnen (es fanden sich dort ebenfalls Tierknochen bei der Grabung 1971), wahrscheinlich schon in kilianisch-bonifatianischer Zeit verchristlicht, konnte ich in St. Achatius/Grünsfeldhausen ausgraben. Auch er führt noch heute Wasser und ist die Mitte des Oktogons, also gewissermaßen eine Analogie zum Würzburger Dom. Auch dieser Brunnen scheint mit dem Baumkult zusammenzuhängen. – Eine auffallend ähnlich gelagerte Kapelle samt Gehöft ist St. Margarethenhof/Neustadt a. Main. Auch hier besteht e-in Zusammenhang mit einer Quelle. Ein ursprünglicher Baumkult dürfte eibenfalls ziemlich sicher anzunehmen sein. Für Schönrain wäre die Verbindung zu einer Quelle noch nachzuweisen, was jedoch bei der Lage geologisch nicht sehr schwer sein dürfte, abgesehen davon, dass das Priorat auf Wasser angewiesen gewesen ist. Der heute noch vorhandene Burgbrunnen dürfte aber nicht in diesen Zusammenhang zu bringen sein, obgleich sich die Analogie
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zum St. Kiliensbrunnen auf dem Kreuzberg, der ebenfalls recht hoch liegt, geradezu anbietet. Wenn man bedenkt, dass das Gros der Bevölkerung damals weder lesen noch schreiben konnte, andererseits aber an den altgeheiligten Stätten hing, so wird man Bischof Bruno den Heiligen durchaus verstehen, wenn auch er noch den gregorianischen Anordnungen folgte und Zugeständnisse nicht allein an die alte Stätte des Heiligen Brunnens in Würzburg machte, sondern darüber hinaus noch die runischen Zeichen verwendete, die selbst der analphabetischen Bevölkerung vertraut gewesen sind: den Lebensbaum als Doppelspirale, später vereinfacht zum Dreisproß und noch weiterhin vereinfacht – wie in der Krypta von Asti – zum Y-Symbol. Zwei Dreisprosse zusammengenommen ergeben den Sechsstern, offensichtlich nicht nur Astralsymbol, sondern ein Signum für das Göttliche überhaupt, wie übrigens bereits an der Stelle des Gottesnamens im Wessobrunner Gebet Lebens- mit Todesrune vereinigt, also: Ewigkeitssymbol und am Tympanon in Wegfurt. Diese Symbole sind in unübersehbarer psychologischer Absicht an den beiden früheren Querschiffportalen des Domes angewandt: Kreuz zwischen zwei Doppelspiralen, flankiert von Fünf- und Sechsstern, und Doppelspirale zwischen zwei lateinischen Kreuzen, die ein Blitz verbindet, flankiert von zwei Sechssternen (Hagalrune), die Verbindung der beiden Dreisprosse.
Um nun dem analphabetischen frühen, noch dem Heidentum nicht völlig entgangenen Christen deutlich klarzumachen, was der schwer fassbare Begriff der Trinität bedeutet, verband man an den Kapitellen an Chor und Querschiff des Domes drei vereinfachte Hagalrunen mit einer Doppelspirale, was nicht allein an das Lebensbaummotiv erinnerte, sondern ebenfalls ein Ewigkeitssymbol ist: die ewige Wiederkehr des Sonnenauf- und -untergangs – oft fälschlich in Unkenntnis der Symbolik – als „ionisches Kapitell” bezeichnet. Dies übrigens auch in Fulda, wo es jedoch ebenfalls ein Ewigkeitssymbol ist. Der vereinfachte Lebensbaum in Y-Form kehrt übrigens an den Konsolen des Rundbogenfrieses auch am Langhaus wieder mit Würzelchen (3) übrigens, damit es auch gar keinen Irrtum gab. Dies konnte ich anlässlich des Wiederaufbaus selbst feststellen.

Auf die Würzburger Domornamentik muss auch im Zusammenhang mit dem Schönrainer Tympanon schon deshalb eingegangen werden, weil fast die gleiche Spiralornamentik in der Bauplastik von Neustadt a. Main bei den Funden erscheint, die ich seinerzeit im Auftrag des Geschichtsvereins Lohr a. Main zu analysieren die Ehre hatte und in der noch vorhandenen Bauplastik in situ ebendaselbst. In Neustadt wird das Lebensbaummotiv mit dem Spiralmotiv verbunden – wie übrigens auch im Langhaus des Würzburger Domes – was insgesamt eine primitive Vorstufe zum Schönrainer Tympanon ist. Hier wie dort treten nun auch die ersten Palmetten auf, die gerade im Schönrainer Tympanon eine merkwürdige Zwischenstellung zwischen Archaik und weiterer Perfektion einnehmen, was vor allem am Massenbucher/Schönrainer Lebensbaum deutlich wird. – Auch bei der Analyse der Palmetten werden wir – wie nahe liegend – auf die Funde und die anderen frühen Neustadter Palmetten zurückkommen müssen.
Abschließend wäre vielleicht noch der Vollständigkeit halber festzustellen, dass die Türsturzform der Querschiffportalstürze des Würzburger Domes aus brunoischer Zeit noch die gleiche Dachform haben wie der Portalsturz der von mir festgestellten karolingischen Pforte in der Schlossruine Schönrain, wobei aber letzterer in seiner schmucklosen Ursprünglichkeit der ältere zu sein scheint, wobei wir es also mit dem – außer Wegfurt – ältesten kompletten karolingischen Portal in Franken zu tun hätten. Eine gewiss bemerkenswerte Feststellung !
Auffallen muss nun allerdings am Massenbucher Tympanon die reiche Ausführung sowohl im Lebensbaum selbst als in der Tierplastik und insbesondere auch im umschriebenen Palmettenrand des Tympanons.
Um es gleich vorwegzunehmen: eine zeitliche Einordnung des Massenbucher Tympanons ist ziemlich schwierig. – Umschriebene Palmetten gibt es bereits seit der griechischen Klassik. Als Bauplastik bei den Fragmenten in Kloster Lorsch, wo übrigens auch in einem sehr frühen Sarkophag (dem sog. ,,Siegfriedsarkophag”) Lebensbaum und Kreuz in noch primitiverer Weise als an den Würzburger Dompforten gleichgesetzt ist. Er dürfte einige hundert Jahre vor Würzburg entstanden sein, führt jedoch auch hier wieder in die Welt der Völkerwanderungszeit zurück, womit die Kontinuität des Motivs wiederum bewiesen ist. (Josef Minst: Kloster Lorsch, Einheimische Überlieferung in der Steinmetzkunst des frühen Mittelalters Abb. ebd). Die früheste mir bekannte umschriebene Palmette im Schönrain-Massenbucher Sinn dürfte jedoch der Warmundus-Stein In Ivrea sein. Ich habe auf seine Zusammenhänge mit dem Medaillonstein am Neumünster-Kreuzgang in Würzburg, etwa aus der Zeit St. Adalberos hingewiesen (R. Kuhn, Neumünsterkreuzgang und Walthergrab, Abb. ebd). Allerdings sind die Palmetten in Ivrea Ritztechnik und besitzen wesentlich weniger Blätter als in Würzburg und in Massenbuch. Die karolingischen Palmettenformen an der Vierungsbasis in Neustadt a. Main sind kräftiger plastisch als jene an dem Madonnenfraciment in Holzkirchen. Die direkte Vorstufe zu Schönrain/ Massenbuch dürfte das Neustadter Fragment sein (Kuhn, Kloster Neustadt etc., Abb. 4). Es sind hier fünf- und vierblätterige umschriebene Palmetten, die aus Spiralen hervorkommen, untereinander mit einem Quersteg verbunden und die ähnliche, wenn auch gröber gearbeitete gespaltene Doppelblätter zwischen den umschriebenen Palmetten besitzen wie Massenbuch, allerdings ist alles gröber und ursprünglicher gearbeitet, woraus zu schließen ist, dass es sich um ein spätkarolingisches Fragment handeln könnte.

Die umschriebenen Palmetten um die Kreuzigungsgruppe von Dimbach, die etwas verwandt zu sein scheinen, gehören wie das Relief selbst in die Richtung der Zeit St. Bernwards, obgleich auch hier ein eindeutiges Urteil zeitlich schwer zu fällen ist. Dennoch erscheint Massenbuch etwas früher in Form wie Bearbeitung.
Goldschmiedearbeiten heranzuziehen, wie etwa den Codex Aureus (Mitte 9. Jahrhundert), in dem die umschriebene, auf einer Volute basierenden Palmette vorkommt und (Deckel, Fassungen) und Werke der Buchmalerei, in der die Ranke und die verschiedensten unumschriebenen Palmetten- bzw. Akanthusvarianten vorherrschen, ist allein von der Technik her problematisch und eher zu Formvergleichen bei der konkreten Gestalt geeignet als bei einem derartig variierten Komplex wie die Palmette.
Die umschriebene Palmette ist nun ihrem Wesen nach weiterentwickelte – wenn man will – verballhornte Antike, die jedoch in besonderer Weise von den langobardischen Ornamentikern und ihren Nachfolgern gepflegt worden ist und ihren eigentlichen Höhepunkt im 12. Jahrhundert durch die Comacini, die lombardischen Ornamentspezialisten erreicht. Es seien hier nur der Neumünsterkreuzgang in Würzburg, Amorbach (auch hier das Doppeltiermotiv), Murrhardt, Wölchingen, Großkomburg, Oberzell und Oberwittighausen genannt, die sämtlich mit Pavia S. Michele und der lombardischen Ornamentik zusammenhängen. Wie sehr lebendig das Motiv des Lebensbaumes von Tieren flankiert noch im 11./12. Jahrhundert gewesen ist, zeigt die gesamte Thematik der langobardisch-lombardischen Ornamentspezialisten von Italien bis nach Schweden, ein uralter Weg, den dann im 17./18. Jahrhundert in sehr ähnlicher Weise auch die Stuckornamentik-Spezialisten bis in die protestantischen Staaten gegangen sind. Würzburg ist ein besonderes Beispiel dafür: vom alten Rathaussaal bis zur schneeigen Pracht des Domstucks Pietro Francesco Magnis und zum non plus ultra des Rokoko, dem Weißen Saal der Residenz Antonio Bossis und selbst noch im „Zopfstil”, dem Spätklassizismus Materno Bossis. Es liegt hier einer der seltenen nachweisbaren eindeutigen kunstgeographischen Europäischen Zusammenhänge vor, die nahezu ein Jahrtausend von der karolingischen Zeit bis zum Klassizismus ornamental wirksam gewesen sind und gerade am Untermain begonnen haben.
Vom rein insularen irisch-britischen und Wikingerornament abgesehen. muss es, aus welchen Gründen auch immer, für unsere germanischen Vorfahren Hemmnisse der ornamentalen und figuralen Gestaltung gegeben haben, die erst auf dem Umweg über die Spätantike und Völkerwanderungszeit – in der Langobarden und Goten eine wesentliche Mittlerrolle spielten – bei aller Eigenständigkeit und z. T. Unvermögen behoben werden konnten. Es würde den Rahmen der Arbeit sprengen dem im einzelnen nachzugehen, so reizvoll dies wäre. – Soviel sei nur noch gesagt: eine der großartigsten Darstellungen des Lebensbaummotivs mit fressenden Tieren verbunden ist jenes großartige kreisförmige Relief allerdings mit flankierenden fressenden Vögeln an der Abbazia S. Maria Pomposa bei Ferrara (Abb. b. Ricci S. 71). Auf Pavias Kirchen einzugehen erübrigt sich insoferne, als – bei aller Motivgleichheit – die heute leider sehr verwitterten Gelbsandsteinarbeiten in San Michele weitgehend später liegen als unser Relief in Massenbuch/Schönrain.



Es bleibt nur noch das Massenbucher Tympanon, so weit uns Heutigen noch möglich – zu deuten und die Beziehungen zu einem Kirchenportal überhaupt herzustellen.


Die Gleichsetzung von Kreuz und Lebensbaum in Franken ist hinreichend erörtert, so bleibt nur noch die Frage nach der Bedeutung des „Fressens der Tiere am Baum”. – Dies kann einmal feindilich, aus zerstörerischer Absicht erfolgen. Ins Heidnische übersetzt: die Zerstörung des heidnischen Weltenbaumes. Hier: der Sieg des Christentums über die heidnischen Mächte: das Christentum als Symbol der Stärke dargestellt in der Art eines Löwenpaares (die gedachten Doppelblätter sind bereits von den Tieren gefressen). Oder aber es bedeutet: der Lebensbaum steht symbolisch für das Wort Gottes und die Sakramente, die in der Kirche gespendet werden (insbesondere hier der Bezug auch auf die Eucharistie !) und das Wort Gottes, das Evangelium, das hier verkündet wird. Dies ist wortl. die für eine Kirche nahe liegende Deutung. Dies geht merkwürdigerweise aus der Art der Schwanzquasten der Löwen hervor. „Böse Tiere” haben fast immer (wie in den schwäbischen Tympana im Schwarzwaldkreis) den Dreiflamm (sehr oft Dreispross – also lilienähnlich – daher falsch) gedeutet. Während „gute” Tiere palmettenähnliche, blätterförmige Schwanzquasten haben. So merkwürdig das klingen mag, aber es ist ein Deutungskriterium früher Plastik (nach Jung, Germanische Götter und Helden etc.). Im Falle von Massenbuch scheint es sich jedoch um „gute” Tiere zu handeln, wenn sie auch recht gierig sind.

Eine weitere Komponente ist noch zu beachten: das noch durchaus Magische im Denken der Frühzeit und nicht nur in dieser. Gerade im 12. Jahrhundert erwachte wiederum – wohl die Reaktion auf die cluniaszensische und teilweise zisterziensisch-bernhardinische Strenge – die Freude am Symbol, an den Tiergestalten (gegen die St. Bernhard wettert !). Ferner gab es die im 12. Säkulum eine merkwürdige Unterströmung keltischgermanischer Frühzeit. So liest man z. B. in althochdeutschen und mittelhochdeutschen Glossen von „Irmansuli pyramides”. Man setzt Radkreuze auf eine Dreistufenpyramide (wie auf Grabsteinen im Würzburger Dom und man bringt es fertig, im Tympanon der alten Kirche in Steinsfeld (bei Rothenburg o. T.) sich vor dem wohl ältesten Christusbild in Franken beiderseits eine lilienähnliche Irminsul sich vor Christus verneigen zu lassen. Der immer noch im Gemüt der Christen umherspukende „Ortsgötze” aber wird seitlich des Christusbildes in den Portalbogen eingespannt (damit er nicht über” Christus steht und um ihn „unschädlich” – dienstbar zu machen. Ebenso verhält es sich mit der Darstellung der Luft-, Erde- und Wassergeister und den Teufel selbst am Portal von St. Sigismund in Oberwittighausen (vgl. Rudolf Kuhn, Die Sigismundkapelle zu Oberwittighausen, Wzbg. 1957), wo ähnlich wie bei den Zentauren und Seeschlangen und Drachen am Schloss- und Kirchenportal des Schlosses Tirol und an den Fragmenten in Neustadt a. Main (Querschiff), insbesondere aber auch am alten Kirchenportal in Retzstadt diese Bannung durch Darstellung deutlich wird. Ein System übrigens, das bei den Wasserspeiern und dem Getier an den gotischen Kathedralen und Kirchen überhaupt (z. B. auch an der Würzburger Marienkapelle) wirksam geblieben ist.

Auch diese Möglichkeit der „Bannung” müssen wir für Massenbuch offenlassen. In diesem Falle wären die gottfeindlichen Mächte durch die Darstellung der Löwen (die merkwürdig geduckt dasitzen) gebannt. Sie können den Lebensbaum nu, )knabbern, nicht zerstören, ja, die Äste bewältigen sie nicht, sie bleiben ihnen im halse stecken, der unbeschädigte Lebensbaum aber grünt weiter und trägt Frucht. Das ganze wiederum symbolisch durch das in sich verbundene Palmettenband abgeschirmt (wie die alten Götterhaine mit Tauen), gleichzeitig aber sind dann hier die Palmetten die Zeichen des Sieges und des Heils.
So vereinigen seich hier magische – man möchte sagen – Instinkte der Frühzeit mit einer frühen christlichen Missionspsychologie, die nicht allein charakteristisch für Franken ist, sondern auch des Nachdenkens wert ist und unsere schweigenden steinernen Zeugen erst wieder lebendig und gedanklich fruchtbar macht.
Wir brauchen uns dieser Gedankengänge keineswegs zu schämen, die einmal in jüngerer Vergangenheit Irrwege gingen, weil sie zum psychologischen Machtinstrument von manchen missbraucht werden sollten;. aber auch aus dem schlichten Grunde, weil die Forschung noch nicht so weit war wie heute. Die moderne Biologie hat festgestellt, Hand in Hand mit der Anthropologie und der Völkerkunde, dass der Mensch auch heute noch die gesamte Entwicklung vom Einzeller bis zum menschlichen Wesen in den Monaten vor der Geburt ebenso durchmacht wie ein Mensch nach seiner Geburt die gesamten psychologischen Entwicklungen der Menschheit bewältigen muss, ebenso wie d’ie Völker selbst. Die Psychologie Carl Gustav Jungs ist hierfür vielleicht der beste Beweis. Das sind exakte naturwissenschaftliche Tatsachen. Den „Entmythologisierern” jeder konfessionellen Provenienz oder philosophischen Richtung sollte man das ins Stammbuch schreiben ! Ich nehme das Massenbucher Tympanon zum Anlass, deutlich klarzumachen, dass auch meine Wissenschaft, die Kunsthistorie zum sterilen Formalismus wird, wenn man nicht versucht, nicht allein die ursprüngliche Funktion der Kunstobjekte zu ergründen, sondern durch die Dinge hindurch und „hinter” sie zu schauen, was eindeutig im Kommen ist. Dies ist keine leichte Arbeit, aber sie muss getan werden, wenn man „veritati”, also der objektiven wissenschaftlichen Wahrheit dienen will, was aber nur mit Geist u n d Herz möglich ist.

Bei den bisherigen Betrachtungen rein stilkritischer und kulturgeschichtlicher Art habe ich die reine Historie – vertreten insbesondere durch die verdienstvolle Arbeit von Dr. Waldemar Weigand „Das Hirsauer Priorat Schönrain am Main” (Lohr 1951) – bewusst außer acht gelassen. Sie wird bei den Betrachtungen des eigentlichen hörsauer Bauwerks um so unentbehrlicher sein. – So viel aber steht allein schon durch die Stilkritik fest: das Massenbucher Tympanon muss bereits v o r den hirsauer Bauten in Schönrain vorhanden gewesen sein, ebenso wie die karolingische Pforte. Das Tympanon muss – allein schon wegen der Steinbehandlung und der reichen Ornamentik dem späteren 10. Jahrhundert, also noch der ottonischen Zeit angehören. Das einzige, wenn auch stark beschädigte, Gegenstück ist der Medaillonstein im Würzburger Neumünster-Kreuzgang, der wesentlich älter ist als der staufische Kreuzgang und dort nur eingefügt ist. Bei beiden Kunstwerken waltet langobardisch-lom,bardische Schmuckfreude, die dem hirsauer Reformgeist durchaus entgegengesetzt ist. Ein Beweis dafür ist z. B. die Portalvorhalle von St. Burkard in Würzburg und wiederum die Funde in Neustadt am Main,’ nicht zuletzt aber auch der zurückgeführte Kreuzgang. Es wird eine weitere Aufgabe sein, das Tympanon, eines der hervorragendsten Kunstwerke der ottonischen Zeit in Franken, einem Schönrainer Bau zuzuordnen. Die reine Stilkritik, also die Fakten, haben jedoch auf eine Bemerkung Weigands aufmerksam gemacht, die dieser leider als völlig aus der Luft gegriffen, bzw. als Verwechslung mit späteren Ereignissen abtut: die Gründung eines Frauenklosters durch die heilige L i o b a um 750 (nach Fr. C. v. Buri, Anhandlung von denen Bauerngütern in Teutschland”, Gießen 1783). Wenn man das frühe System der Königshöfe in unserem Gebiet, die er eingehend beschreibt, das System der Urpfarreien, die nicht sehr räumlich entfernte karolingischen Traditionen (Neustadt-Megingaud, Karlburg, Waldzell, Hammelburg, Salz, lidlorenzen und natürlich Würzburg, Amorbach, Gerlachsheim und Tauberbischofsheim sowie die dazugehörigen Gebiete) in der Gesamtheit überschaut und den Untermain als besonders wichtiges Gebiet der damaligen Zeit: strategisch, wirtschaftlich, religiös würdigt, erscheint diese Sage gar nicht mehr so weit hergeholt. Gab es nicht doch eine frühe „Rodungsinsel” auf Schönrain, die nicht allein von hirsauer Historikern als „valde idoneus”, sondern auch von Trithemius als „juxta fluvium in monte, situ amoenus, aere salubris et solitutine sua ad monasticam institutionem valde idoneus” offensichtlich begeistert bezeichnet wird? Sollte das nicht auch schon den frühen Missionaren aufgefallen sein ? War es eine alte Volksburg mit Heiligtum wie andere Berge in Franken z. B, der Marienberg in Würzburg? Es dürfte wohl ebenso selbstverständlich sein, dass man schriftlich jede Beziehung zu einem vorchristlichen Heiligtum verschwiegen hat, das war beim Würzburger Dom genau so. In einem Relief aber musste man auf die noch nichtganz sattelfesten Christen in einem waldreichen Land psychologisch handfest einwirken. Dafür ist das Relief ein Beweis. Die karolingische Pforte vollends lässt mindestens auf eine frühe Siedlung mit einer Kirche schließen, war sie nun Kloster oder königlicher Besitz. Eine endgültige Klarheit wird hier, auch nach genauester Analyse aller steinernen Reste nur eine systematische Grabung bringen können. Jedenfalls hat aber die, wenn auch etwas notwendigerweise weiter ausholende, Betrachtung des Schönrain-Massenbucher Tympanons neue Gesichtspunkte gebracht.

Man mag es nicht als lokalhistorischen Überschwang betrachten, wenn bei der Schönheit der Stätte von Schönrain zum Schluss noch jene Verse ins Gedächtnis kommen, die auch die alten Klosterinsassen gut gekannt haben aus der Geheimen Offenbarung St. Johannes Evangelista (22, 1 mit 2). „Und er zeigte mir den Strom lebendigen Wassers, klar wie Kristall, der ausgeht vom Throne Gottes und des Lammes. Halbwegs zwischen ihrer Straße und dem Flusse stand in zwei Reihen der Lebensbaum, der Zwölfmahl Frucht bringt. Jeden Monat trägt er seine Frucht, und die Blätter des Baumes dienen zur Heilung der Völker.”