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Dr. Rudolf Kuhn
- Die Klosterruine Schönrain - Kunsthistorische Analyse und Würdigung
der Baureste
Schriften des Lohrer Geschichtsvereins
Die Ansichten über die „Hirsauer
Bauschule" reichen von absoluter Ablehnung bis zu strengster
Observanz. Die Wahrheit liegt - wie so oft - in der Mitte und
ist keineswegs auf reine Formprobleme beschränkt. Auf die
hirsauisch beeinflusste Architektur möchte ich erst eigentlich
zu sprechen kommen, wenn durch eine provisorische Grabung Sicheres
über Lage und Maße der Kirche selbst festgestellt
werden kann. Dennoch ist es notwendig zur Analyse der sichtbaren
Bauglieder, bzw. der Ornamentik, Beispiele heranzuziehen aus
der Architektur noch vorhandener Kirchen, insbesondere in Franken.
Hintergrund
Die Gründung von Schönrain (parallel zu Reinhardsbrunn
wie Weigand feststellte) durch die Schenkung des Geländes
der thüringischen Grafen
Ludwig und Berengar an Hirsau 1085 bzw. 1093 gilbt einen
Hinweis. Seit 1069 leitete Abt Wilhelm Hirsau; die Vollendung
der Kirche Schönrains soll unter Abt Gebhard, besser wohl
unter Abt Bruno (1105-19) erfolgt sein. Wenn - wie wir wohl
annehmen dürfen - vor dem hirsauischem Bau bereits eine
kleinere Kirche vorhanden war (wie wir auch auf Grund der vorhirsauischen
Fragmente berechtigt sind), so gibt uns die Regierungszeit Brunos
einen deutlicheren Zusammenhang mit den vorhandenen Spolien.
Weigand hat die Verwandtschaft mit Aura erkannt, ich selbst
habe auf die Fragmente von Neustadt a. Main hingewiesen, die
nach Kenntnis der weiteren Zusammenhänge in anderem Licht
erscheinen.
Eine der großartigsten Leistungen monastischer Architektur
ist der Kapitelsaal der späteren würzburgischen Enklave
Komburg: Säulen, Bogenfolge, Raummaße sind von einer
derartig sakralen Imperialität - auf kleinstem Raum ! -
wie sie sonst nur in den Domen wirksam geworden ist. Übrigens
genau jene Eigenschaften, an denen sich die großangelegte
Reform totlief, weil geistliche und weltliche Macht als Folge
des Investiturstreites nicht mehr auseinander zu halten war,
nach der Eigengesetzlichkeit der Akkumulation großer Gemeinschaften.
Cluny selbst ist das am meisten typische Beispiel. So konnte
z. B. Luther seine Reformation nur noch durch den Kunstgriff
des „Summepiskopats" retten, indem er den Fürsten
- von jeher deutsches Nationalunglück 1 - die Kirchengüter
in den gefräßigen Rachen warf. Wahrscheinlich wären
gerade die Lehren des Protestantismus dogmatisch anders ausgefallen,
wenn der machtpolitische Hintergrund anders gewesen wäre.
Die cluniascensische Reform hat durch übersteigerte Papstmacht
das deutsche Kaisertum ruiniert, Luther durch den Summepiskopat
das HI. Röm. Reich Deutscher Nation.
Cluny und somit Hirsau aber haben Dogma und Struktur der Kirche
nicht angerührt. Es mag in manchem eine zeitbedingt übersteigerte
Bewegung gewesen sein, die in titurgistische Starre verfiel
und vielleicht die menschliche Natur auf die Dauer überfordert
hat - gerade durch die Massierung und die Masse selbst. Der
Kern aber war eine gesunde Reinigungsabsicht der verweltlichten
Kirche.
Hirsauer Säule
Folglich musste die Architektur Strenge und Sammlung ausdrücken.
Sie verzichtete - soweit wir heute noch erkennen können
- vielfach auf Farbe und weitgehend auf Ornament. Die Raumund
Architekturformen selbst, sind von einer bezwingenden Großartigkeit:
die Säule etwa mit attischer Basis, wuchtigem bis elegantem
Schaft, darauf die Wucht eines Würfelkapitells, das die
geometrische Durchdringung von Kugel und Kubus vollendet ausschöpfte,
das Würfelkapitell mit aufeinander liegenden Schilden aufgelockert
und mit einem blattartigem Dreieckchen (die sog. Hirsauer Nase)
an die „Deckplatte" angeschlossen, nach dem kraftvollen
Säulenschaft durch einen eleganten Halsring abgesetzt.
Die Grundstruktur dieser Säule, die fast über ein
Jahrhundert tonangebend war und gelegentlich auch leicht proportional
variiert wurde, findet in Schönrain - auch in der sorgfältigen
Bearbeitung - eine ihrer schönsten Ausprägungen.
Formal wie bearbeitungsmäßig entspricht Aura den
Schönrainer Fragmenten am meisten und auch die Fragmente
von Neustadt a. Main sowie die - allerdings vermutlich größeren
- Säulen des Adalger-Münsters (um 1100) in Neustadt
a. Main selbst. Wenn wir nun wissen, dass in unserer Gegend
das Adalger-Münster in Neus der älteste Bau unter
zweifellos hirsauer Einfluss entstanden ist, Aura von St. Otto
in Bamberg 1109 gegründet und 1113 vollendet wurde, Bamberg
St. Jakob ebenfalls 1109 gegründet wurde, das ebenfalls
verwandte Züge in den Säulen zeigt, so gehen wir wohl
nicht fehl, wenn wir eine Bauhütte vermuten, die mindestens
in Neustadt a. Main (als größtem Bau) in Aura und
möglicherweise auch in Alt-Bauz, St. Michael in Bamberg
(1121), gegründet 734, Amorbach Türme (Anfang 12.
Jahrhundert) und vielleicht auch in Thulba gearbeitet hat.
Wie verhältnismäßig spät (1132) das frühere
Hirsau in ganzer Strenge wirksam war, zeigt das Heilsbronner
Münster und - vielleicht am deutlichsten Kleinkomburg St.
Jakobus, dessen gedrungene Säulen an Hirsau St. Aurelius
(1059) erinnern. Gerade Kleinkomburg (gegründet 1109) hat
mit Schönrain stark verwandte Züge, lediglich die
dort verwendeten Rundbogenfriese fehlen und dort fehlt der in
Schönrain so typischhirsaurische Schachbrettfries.
Ohne den Ergebnissen der Grabung vorgreifen zu wollen, dürfte
Kleinkomburg und Aura die nächsten Verwandten Schönrains
sein, was auch rein zeitlich durchaus in den Rahmen passt. Interessanterweise gibt es „reinrassige"
hirsauer Kapitelle in Würzburg kaum: weder die der Brunozeit
(Krypta), naturgemäß schon wegen der Entstehungszeit,
noch die aus der Zeit Adalberos (Querschiff) noch die Enzelins
(Langhaus 1133) passen so recht in die hirsauisch beeinflusste
Richtung. Mit den wohl etwas dem hirsauischem Geist verwandteren
wendigen Kapitellen von St. Jakob in Würzburg verhält
es sich ähnlich; die der Vorhalle von St. Burkard sind
wesentlich später. Alt-Stifthaug zeigt völlig andere
Einflüsse, was die Kapitelle und Gesimsreste betrifft.
Bliebe also Oberzell (beg. 1128), was jedoch in seiner heutigen
Anlage ebenfalls nicht mehr klar identifizierbar ist.
Schachbrett- und Würfelornament
Das Schachbrett- oder Würfel- (Walzenornament) Ornament
ist ein typisches Schmuckelement, das bei den Bauten unter dem
Einfluss hirsauischer Reform auftritt. Als solches gehört
es meistens Bauten im 1. Viertel des 12. s. an. Dies gilt auch
für Franken, jedoch nicht ausschließlich, wie wir
noch sehen werden.
Der Schachbrett- oder Würfelfries kommt in zwei Hauptformen
vor: vorherrschend ist die Würfelform, d. h. zwischen zwei
Platten (oberhalb oft eine breitere, unterhalb oft eine schmälere).
Die eigentlichen Würfeltreppen von der oberen Platte nach
unten ab, jedoch alternierend, so dass stets zwischen zwei Würfeln
einer ausfällt - dadurch wird eine plastische Schattenwirkung
erzielt.
Gelegentlich vereinigen sich zwei Würfel zu einer rechteckigen
Fläche, die jedoch über der unteren Platte wieder
halbiert wird, also der Schachbretteindruck entsteht. Das Grundprinzip
des Schachbrettfrieses ist z. B in Schönrain in dem Fragment
über der Säule Platte und Schräge, die dann eben
durch den Würfelfries belebt wird. Dieser Fries ist plastischer
als jener über dem Eingang in den Verlies-Turmstumpf, den
ich übrigens für ein Fragment der Kirche halte und
nicht wie in den KDB angegeben in situ.
Der Würfelfries am Turm ist flacher und erscheint auch
älter. Er hat das System: Große Platte/Schachbrettfries
scheinbar vierstufig, wirklich zwei X zwei rechteckige/untere
Platte, diese aber von der halben Breite der oberen.
Die Walzenform - bei der in gleicher Weise wie bei der Würfelform
Walzen treten, die sich ebenfalls alternierend abgeschnitten
im Profil überschneiden, finden sich in Schönrain
nicht, in Franken überhaupt sehr selten. In sitze sind
mir Walzen nur am Turm des Marienmünsters in Amorbach bekannt.
Auffallend ist das Fehlen des Schachbrettfrieses in Würzburg
und seiner näheren Umgebung, sowie auch in den badisch-württembergischfränkischen
Nachbargebieten, die sonst recht ornamentfreundlich sind. Eine
Besonderheit der Schachbrett-Ornamentik-Fragmente in Schönrain
sind die Doppelfriese z. B. seitlich der Säule mit dem
Kapitell am Eingang. Zudem stehen die Friese im Winkel zueinander
und sind so abgeschnitten, dass es offensichtlich erscheint,
dass sie zu Arkadenbögen gehört haben müssen,
evtl. zu einer Vierung.
Hier ist es wohl angebracht anzuführen, wobei den hirsauisch
beinflussten Bauten die Schachbrettfriese auftreten. Außen
meist an Hauptgesimsen vor Hochgaden und Seitenschiffen, an
Giebeln und Portalen, gelegentlich - nach der Jahrhundertsmitte
auch als Fensterumrahmungen (Münzenberg) oder Außenapsiden
('Heilbronn).
Eines der frühesten Beispiele und der großartigsten
einer rechteckigen Torüberblende um 1100 findet sich am
Torhaus des Stiftes Groß-Komburg bei Schwäb. Hall
nachmals würzburgische Enklave.
Am deutlichsten wird für uns in Franken die Funktion des
Schachbrettfrieses auf dem St. Gotthardsberg bei Amonbach.
Die Feststellungen, die eindeutig bezüglich der hirsauer
Säulen in Schönrain getroffen werden können,
sind spärlich: Die attische Basis besteht aus großem
Wulst, Blättchen, Kehle, Blättchen, kleinerer Wulst,
Blättchen. Ecksporne bis jetzt nicht nachweisbar. Die Basis
entspricht - also weitgehend formal jener in Aura.
Vergleiche der Plinthen und Schaftbreite nach Bahmann
(cit. bei Weigand S. 69).
Schönrain:
Aura: |
Plinthe: 103 cm breit Schaft: 76 cm breit
Plinthe: 85 cm breit Schaft: 55
cm breit |
Allein aus diesen Maßen könnte sich ergeben, daß
die Kirche von Schönrain, Patronat: „sub beatae dei
genetricis sanctique Johannis evangelistae", im Vergleich
zu Aura die
größere gewesen ist.
Es wird notwendig sein, sämtliche in Schönrain selbst
vorhandenen Kapitelle und Säulenfragmente einmal genau
zu registrieren. Die meisten liegen im Keller des Schlösschens,
eine Säulenhälfte ist zusammen mit dem Kapitell aufgestellt.
Drei Kapitelle befinden sich im Lohrer Heimatmuseum, ein weiteres
vermutlich in Adelsheim.
Das am Eingang des Schlosshofes aufgestellte Rotsandsteinkapitell
ist von einmaliger zeitloser Schönheit: ein schmaler Halsring
setzt das Kapitell von der Säule ab. Die Durchdringung
von Kubus und Kugel ist von einer überzeugenden Präzision.
Die abgetreppt übereinander liegenden Schildringe ermöglichen
eine elegante Busung der eigentlichen Kugel - verwandt ist übrigens
eine ähnliche Busung des wesentlich früheren Kapitells
von Schönrain (heute Taufstein in Hofstetten). Die „Hirsauer
Nasen" in Dreiecksform an den Kanten leiten die zusammenlaufenden
Schildbögen über zu abgesetzten Schein-Deckplatten.
Wir haben also ein hirsauisches Kapitell reinster Form vor uns
und zwar - gegenüber anderen gleichzeitigen und sogar späteren
hirsauisch beeinflussten - von einer gewissen Modifizerung zu
einer etwas größeren Milde der Gesamtform, was sich
wohl aus der Landschaft erklären lässt und ihren Einflüssen.
Die Neustadter hirsauischen Fragmente, die wohl einer Vorhalle
angehörten, sind anders geartet als die Schönrainer,
anders auch als die Säulen im Adalger-Münster dort
selbst, sie sind sicherlich eine Generation später, wenn
auch noch aus ähnlichem Geist entstanden, zu denken.
weiter lesen:
Kapitel VI.- Ein Versuch über die abgebrochene hirsauische
Kirche
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Aus den Schriften des Geschichtsvereins Lohr
a. Main -
"DIE KLOSTERRUINE SCHÖNRAIN",
Kunsthistorische Analyse und Würdigung der Baureste von Dr. Rudolf
Kuhn im Dez. 1974. |

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