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Dr. Rudolf Kuhn
- Die Klosterruine Schönrain - Kunsthistorische Analyse und Würdigung
der Baureste
Schriften des Lohrer Geschichtsvereins
Stieß bereits die Analyse und vor allem die zeitliche
Einordnung des Tympanons der älteren Schönrainer Kirche
auf beträchtliche Schwierigkeiten, so ist dies bei dem
in der Scheune in 'Massenbuch eingemauerten Spolie noch mehr
der Fall. - Über die Zeit und die -genaue Herkunft ist
weder beim Tympanon noch bei der Spolie etwas Archiivalisches
vorhanden, wir sind (wie auch laut KDB Bd. Lohr) auf die mündliche
Orts-Tradition angewiesen. Es ist hierbei erstaunlich festzustellen,
mit welcher Vehemenz man nach dem Übergang des Priorats
Schönrain an die Rienecker - die zum Wiederaufbau der im
Bauernkrieg zerstörten Kirche verpflichtet waren, aber
sich dem nach der gewaltsamen Auflösung Hirsaus selbst
durch den Herzog von Württemberg, widerrechtlich entzogen
- die Kirche in die gesamte Umgebung geradezu zerstreut hat.
Im ganzen Mainknie, bis auf das andere Ufer nach Adelsheim,
eingemauert in Ställen und Scheunen sind Säulen, Kapitelle
und Spofien zu finden. Man muss geradezu den Eindruck gewinnen,
dass man bei Erstellung -des Jagdschlösschens/ Witwensitzes,
sich durch Beseitigung der fast gesamten kirchlichen Vergangenheit
der Stätte nicht nur sein Gewissen beruhigen wollte, sondern
ebenso auch vollendete Tatsachen schaffen wollte. Denn nur so
lässt sich die wirklich beträchtliche Arbeit erklären,
die ohne Maschinen, die gewaltigen Gewichte der Säulen,
Säulentrommeln und massiven Hirsauer Kapitelle bewegte.
Zunächst die Beschreibung:
Es handelt sich um einen Türsturz mäßiger Größe
(etwa 1 m X 0,40 m) aus Rotsandstein. Die Grundform ist ein
lang gezogenes Rechteck, dessen Schmalseite lediglich durch
jeweils zwei Fassungen unterbrochen ist, die auf zwei gegenläufig-spiraligen
Doppelvoluten zulaufen. Im Innern des Rechtecks ist ein weniger
lang gezogenes eingetieft (mit einem Viertelstab), in diese
Freifläche ragt mit Dickbacken, mit einer Art Schnurrbart,
breiter Nase, Glotzaugen und heraushängender profilierter
Zunge eine Fratze. Ober der Nase setzen sich noch über
den Augen beiderseits mehrfach profiliert in Halbmondform, ebenfalls
wulstige Augenbrauen fort, die in das oben in Parallelschlag
ziemlich grob ausgeführte obere Abschlussband hineinragen.
Eine Besonderheit 'ist ein fruchtähnlich-zapfenförmiges
Gebilde, allerdings ohne Schuppen und mit der Spitze ebenso
abwärts gerichtet, wie die Frucht im Lebensbaum im Tympanon
aufwärts gerichtet ist. Ohne die Voluten-Ornamentik, die
ein spitzes Zulaufen der zwischen Viertelstab und Randbändern
vorhandenen Fläche bedingt, könnte man die Fratze
ohne weiiteres der frühen Romanik oder renaissancehafter
Volkskunst zuordnen, wozu ich anfangs auch geneigt war.
Bei Redslob (Deutsche Volkskunst), bei Hansmann Kriss-Rettenbeck
(Amulett und Talisman), in den fränkischen Volkskunst-Museen,
'vor allem Mittelfranken, sind solche Fratzen an Ausläufen
von Mahlkästen in Mühlen, an Stützbalken und
Eckpfeilern von Fachwerkhäusern der Renaissance und auch
in der Schloss-Ornamentik (Mespelbrunn, Festung Marienberg u.
a. m.) zu finden. So 'ist z. B. am Bassin beim Festungsbrunnen
eine Ornamentik von Wassermännern und Wasserweibchen zu
finden, die ihren Ursprung eindeutig in der Antike haben (vgl.
Skizze 25, H. Jucker, Das Bildnis im Blätterkelch 1961)
aus Djemila, um nur einen Vergleichsmoment zu nennen, Am Trajansforum
in Rom, in Baalbeck und Augst finden sich ähnliche Motive.
Von deren Transformierung in germanisch-langobardischem Sinne
war bereits die Rede. Da ja die Motive der Renaissance auf die
gleiche antike Quelle zurückgehen, schließt sich
auch hier der Kreis.
Wie
verhält es sich aber mit unserer Fratze?
Das Jagdschlösschen in Schönrain ist in seiner gesamten
Erscheinungsform mehr spätgotisch, dafür zeugen schon
die gotischen „Vorhangbogen"-Fenstergewände,
samt Profilierung. Ähnliches dergestalt, insbesondere Renaissanceähnliches,
ist auf dem gesamten Schönrainer Gelände nicht zu
finden. Außerdem spricht die rohere Bearbeitung für
eine frühere Zeit, selbst früher als die hirsauische.
Diese war bekanntermaßen sehr streng im figürlich
Dreidimensionalen (Ausnahmen bestätigen die Regel! vgl.
'Eulenturm, Hirsau!) als ausgesprochen mönchische Reformbewegung,
die sich nicht durch - vor allem bewegte - Bildwerke „ablenken"
lassen wollte. Eine spiritualistische Strömung übrigens,
die auch die Zisterzienser vertieften.
Die Folge war das Ausschwingen des Pendels Ende des 12. Säkulums
in die andt„ reiche, symbolgetragene, unterschwellig germanisch-indogermanische
Richtung, die durch die Kreuzzüge noch angeheizt wurde
und - wie wir gesehen haben bei der Lebensbaum-Analyse - auch
hier den frühzeitlich europäisch-asiatischen Bogen
schloss. Es kann sich jedoch nur um eine kleine Pforte beim
Türsturz von Massenbuch gehandelt haben. Wenn wir das Tympanon
zum Vergleich heranziehen, muss zeitlich vor der Kirche des
Hlirsauer Priorats eine kleinere Kirche vorhanden gewesen sein.
Näheres wird später an Hand anderer Spolien und wohl
durch Kontrollgrabung zu erläutern sein 1 - und zu dieser
-mag auch die Spolie gehört haben, wenngleich sie eine
völlig andere Hand als das Tympanon zeigt. Wie wir nun
wissen, dürfte es sich beim Tympanon um Langobarden-Lombarden
als Meister gehandelt haben - selbst in den Annales Hirsaugienses
werden solche genannt, die aber nur die Verhältnisse ottonischer
Zeit fortzuführen scheinen - hier aber scheint eine einheimische
Hand - ähnlich wie bei einigen Neustädter -Kapitellen,
wie ich erläutert habe (R. Kuhn, Die Neustadter Fragmente
etc.) am Werk gewesen zu sein.
Nun aber ist in diesem merkwürdigen Fratzenkopf etwas hineingearbeitet,
was nur derjenige erkennt, der das Lebensbaum-Motiv eingehend
in sich aufgenommen hat: die breite Nasenspitze samt Flügel
hat zweifellos eine Baumstammähnlichkeit, die noch verstärkt
wird durch die Abspaltung der Brauen, die übrigens (vom
Besch), links noch gut sichtbar, in einer Art Volute oder Blattform
endigen, aus den Doppelblättern kommt diesmal offensichtlich
eine Knospe hervor, d. h. der „Lebensbaum" des Tympanons
ist in primitiverer Form eingearbeitet.
Was soll das also, ein Lebensbaum in eine Fratze hineingearbeitet,
darstellen? Das dürfte also nach frühem imaginativmagischen
Denken eine Bannplastik sein, die auch für schlichte Analphabeten
- und das müssen wir stets mit in Betracht ziehen - durchaus
verständlich war, wie ich bei der Betrachtung des Tympanons
ausführte. Ich kann auch darauf verzichten, noch einmal
die gesamte Ableitung der Welten- und Lebensbäume in ihren
Varianten von den sumerischbabylonischen „Tammuz"Lebensbaum
über den ägyptischen Urlotos, dem Lebenssymbol Echnatons
bis zu den phönizischen Formen, zu den griechisch-hellenistischen
Akanthusformen, die dann von Rom übernommen, in Byzanz
christlich weiterentwickelt wurden, bis zu den Comacini des
9., 10. und 11. Säkulums und selbst bis zum Barock zum
Domstuck Pietro Francesco Magnis und seiner Landsleute, denen
wir ohnehin bei der Analyse des Fratzenmotivs wieder begegnen.
Und hier ist nun wieder eine Exkursion in die Psychologie und
die Völkerkunde nötig.
Die grauenhaften, teilweise scheußlichen Masken der Etrusker,
der Griechen, der Römer, was sollen sie eigentlich,
woher kommen sie? - Wenn der Wilde seinen Kopf und insbesondere
sein Gesicht schrecklich entstellt und bemalt, verfolgt er damit
zunächst den Zweck - etwa dem Renommliergehabe der Tierwelt
im Gefahren alle entsprechend - einen Gegner oder mutmaßlichen
Gegner zu schrecken, in die Flucht zu schlagen durch einen Furcht
einflößenden Anblick. Uns ist dies bis in die Gegenwart
von afrikanischen und indianischen Kult- und Kriegstänzen
her bekannt.
Die andere Komponente ist die, dass man magisch glaubte, einen
bestimmten Dämon selbst zu personifizieren - oder auch
von ihm geradezu trancehaft besessen zu sein. In dieselbe Richtung
gehört auch die Kopfjägerei, der Schädelkult
bezw. der abgeschlagene Kopf des Feindes - Triumph eines primitiven
Machtbewusstseins - übrigens in der Französischen
Revolution 'beim Sturm auf bzw. Marsch nach Versailles noch
praktiziert. Die alten Gallier, wie auch die geschichtlichen
Türken mauerten Schädel getöteter Feinde zur
Abschreckung ein (z. B. noch in einem Turm bei Nisch/Kamenica
1809, Abb. 593 b - Kriss-Rettenbeck-Hansmann). Später trat
an die Stelle des echten Schädels das Abbild.
Die heraushängende Zunge einer Gorgo - das Medusen- oder
Gorgonenhaupt spielt ja in der gesamten Antike eine große
Rolle - deutet jedoch auch auf Menschenopfer hin - auf einen
Tod in grausamer ritueller Langsamkeit, z. B. bei den Etruskern.
Bei Homer trägt Pallas Athene - Verkörperung der Ordnung
und Wissenschaft - !f ihrem Gewand als Siegeszeichen häufig
das Gesicht der Gorgo. Es gab drei Gorgonen, Töchter des
Phorkys, die 'Medusa, eine von ihnen wird vom Helden Perseus
getötet. - Ursprünglich sind dies psychologisch gesehen,
wohl Personifikationen feindlicher Naturgewalten, z. B. die
Tücke des Meeres, Orkans etc. und als Abwehrzauber. Abwehr
eines „Bösen Blicks", menschlicher Bosheit also
jeder Form durch Ablenkung mit einer schaudererregenden Fratze.
Also Abwehr der eigenen Furcht durch Gegenfurcht, wobei die
Gorgo/Medusa das visuelle Medium ist. Dasselbe gilt auch für
die oft schockierende (wenigstens uns Heutige) Wirkung von pha:l6ischen
Monströsitäten an christlichen Kirchentüren (z.
B. auf Elba) und mittels großer sexueller bezw. Genital-Symbole
oder genitalische SchmuckAnhänger in südlichen Ländern
bis zu geradezu harmlosen „Händen der Fatme"
-in Filigran.
Soll hier der Blick und die Intention des übelwollenden
Mitmenschen abgelenkt, „gebannt" werden, so gilt
dies in noch viel höherem Maße für Bildwerke.
Von den - wie bereits erwähnten - zahllosen antiken Beispielen
in Stein und Metall - ein besonders eindrucksvolles Bildwerk
ist die sog. „Bocca della veritä" in der Vorhalle
der Kirche S. Maria in Cosmedin in Rom - bis zur langobardischen
Zeit (Fratze von Untermais in Tirol, Abb. b, Schaftran Tf) sei
noch das Schild Agamem.mnons mit der Gorgo aus der IIias erwähnt.
Hier führt ein direkter Weg zur mittelalterlichen Heraldik,
wo allerdings dann schreckenerregende Tiere an die Stelle von
Fratzen treten. Die Helmzier mit Federn und Gehörne jedoch
kann auch in spätester Zeit - oft überhaupt nicht
mehr von den Trägern selbst verstanden - ihre totemistische
Urzeitherkunft verleugnen.
In den Höhlen von Altamira
hat man in völligem Dunkel Tiere, seien es Jagdtiere
oder Tiergottheiten dargestellt, um ihrer habhaft zu werden,
bzw. um ihrer Hilfe sich zu versichern. - In christlicher Zeit
spielte dann die Darstellung von Dämonen an den wichtigen
dämonenbedrängten Kirchentoren, an Giebeln und Stützpfeilern,
eine große Abwehrrolle. Man stellt sie dar, um sie fest
„im Griff" zu haben. als Diener des mächtigeren
Christengottes, gleichzeitig aber um den Bau zu schützen
und den Furchtsam-Kleingläubigen eine psychologische, sichtbare
Stütze zu geben. Durch Darstellung sind Luft-, Sturm-,
Hagel-, Wassergeister und natürlich wilde Tiere gebannt.
Wie ich in meinen früheren Arbeiten ausgeführt habe
(S. Sigismund zu Oberwittighausen) - um in der engeren Heimat
zu bleiben - sind am dortigen Portal sämtliche derartigen
Möglichkeiten - einschließlich des angeketteten Teufels
- vorhanden. Um nur einige weitere zu nennen: im nahen Neustadt
am Main bannte man Wassermänner (samt verlorenem Weibchen),
Wasserschlangen und selbst Kentauren (Querschiff), am hochinteressanten
Portal von 'Retzstadt Tiere, Wassermänner und eindeutig
eine Abwehrfratze am Portalgewände. - Ein besonders prachtvoller
„Neidkopf' der Romantik findet sich am älteren Teil
der Kirche in Detfwang bei Rothenburg o. T., unzählige
Neidköpfe befinden sich an fränkischen Fachwerkhäusern,
so dass ich sie nicht aufführen kann. Jedenfalls zeigen
sie oft samt der Ornamentik noch recht deutliches romanisches
Gepräge - noch im 17. Jahrhundert ! Von Steinsfeld sprach
ich bereits, von den hierhergehörenden Tier und Fratzendarstellungen
aus dem Schwäbischen (Reutlichen, Frauenzimmern, Schwäb.
Gmünd usw.) sei 'besonders-Schenkenzell genannt, weil die
dortige Fratze eine gewisse Ähnlichkeit (Nase/ Augen) jedenfalls
aber die gleiche Funktion wie in Schönrain besitzt. Wir
wollen uns nicht zu weit verlieren, da es eine eigene Studie
wert wäre. Es gab auch die christliche Umsetzung der Fratze
in das absolute Gegenteil: in das VERA IKON, das wirkliche Bild
Christi mit der Unheil abwehrenden Wirkung. Die ältesten
sind wohl Ikonen, die überhaupt das Christusbild bis heute
geprägt haben: der EdesseChristus aus Abagar und besonders
auch der Lentulus-Smaragd. Meistens handelt es sich hier um
einfache Darstellungen Christi mit der Dornenkrone, wie es -
offenbar noch im gleichen Sinne - F. acht Dürer geschaffen
hat, das zum Inbegriff des „Hauptes voll Blut und Wunden"
in Deutschland geworden ist.
In diese Richtung der Abwehr dämonischer Mächte gehören
vor allem die langobard'ischen Goldblattkreuze auf den Kleidern
verstorbener und später dann auch Bilder Heiliger 'Martyrer
('St. Athanasius -usw.). Eine steinerne Dokumentation eines
solchen Goldblattkreuzes dürfte die älteste Würzburger
Christusdarstellung wohl aus dem 11. Jahrhundert sein, die in
der Krypta des Würzburger Domes aufgefunden und dort auch
eingemauert ist.
dämonenabwehrender
Tiere
Ein besonders schönes Beispiel dämonenabwehrender
Tiere -in spätromanischer Zeit zeigt die Johanniterkirche
in Boxberg-Nölchingen gerade auch im Giebelschmuck (den
eine der Schönrain-Kirchen ebenfalls besessen haben muss,
wie ein Tierfragment zeigt), woraus hervorgeht, dass sich seit
den Tempeln der Antike, wo man ebenfalls die Gorgo an der Giebelspitze
und den Portalen als Apotropaion anbrachte, ebenso die schaudervollen
Wasserspeier an unseren europäischen gotischen Kathedralen;
im engeren Bereich an der Würzburger Marienkapelle, in
Wimpfen in Tal, -und der „kleinen Tochter der Würzburger
Marienkapelle" an der Bergkirche in Laudenbach (Jagstkreis),
psychologisch sich im Menschen selbst nichts Wesentliches geändert
hat. Lediglich unsere eigene Zeit glaubt im Sinne einer (bereits
damals in Blut und Tränen) gescheiterten Aufklärung,
den Menschen manipulieren zu können. Das gilt
für bestimmte inhaltslose moderne profane wie kirchliche
Bauten wie für die „Entmythologisierung" und
„Entmagisierung" christlicher Texte. Die menschliche
Natur braucht eine bildhafte und durch Aktion gefestigte Stütze
- sie kann nicht im ätherisch-spirituellen Raum als diesseitsverhaftetes
Wesen leben. Wenn man das dem Menschen nimmt, fällt er
- wie Südamerika und Afrika zeigt (Macumba etc.) - in finstersten
Aberglauben zurück. Diese psychologischen Tatsachen und
Erwägungen sind die eigentliche Wurzel jeder Bildhaftigkeit
in religiösem Zusammenhang und bildet auch den Urgrund
jeder religiösen christlichen Kunst. Selbst der „alte
Heide" Goethe 'kennzeichnet die Kunst - auch die christliche
- als „den Schein einer höheren 'Wirklichkeit",
die wir nur mittelbar, eben durch die Kunst erahnen können.
Ist es doch die Kunst, die eigentlich den Menschen vom Tier
unterscheidet, was jedoch von der Gegenwartskunst nicht immer
'behauptet werden kann.
Der Mensch lässt sich eben niemals geistig total vergewaltigen.
Auch bei der Spolie von Massenbuch brauchen wir uns - in einer
Zeit in der selbst afrikanische und Indianerkunst beliebt ist
- die z. T. noch auf technisch tieferer Stufe steht als unsere
primitive Romanik - der Gedankengänge der Vorfahren keineswegs
zu schämen.
Man hat also Abwehr- oder Bannfratze und Lebensbaum-Motiv in
der Spolie kombiniert, wobei der Lebensbaum -unmissverständlich
noch einmal (vgl. Domspiralen Würzburg, Aura und selbst
Rieneck/Turmkapelle u. a.) -hervorgehoben wird, seitlich jedoch
ähnlich abgebogen wie im „Stuhl" des Josef von
Arimathäa am Extersteine Kreuzabnahme-Relief, betont ist,
diesmal aber - wie schon die Kombination mit der Fratze zeigt
- in abwertender Intention. Bedurfte man dessen um heidnische
Unterströmungen abzuwehren? Noch bis ins 13. Jahrhundert
hatten Würzburger Fürstbischöfe mit diesen Unterströmungen
zu kämpfen.Wie weit die Abwehrfratze 'bis ins 17./18. Jahrhundert
der „Neidkopf', diesmal über dem Tor, noch gefragt
war, zeigen die Meisterleistungen an den 'Bauten Petrinis und
seines Bildhauers Esterbauer in Würzburg an Bürgerhäusern
und Festungswerken, die großenteils erhalten geblieben
sind infolge ihrer Muschelkalk-Massivität: die „Leutfresser"
- eine Straße ist sogar in Würzburg nach ihnen benannt,
weil sie meistens in den Steinbrüchen auf dem Nikolausberg
geschlagen wurden.
Oft gingen sie auch eine schöne Synthese ein mit den Madonnenbildern
über diesen Petrini-Greising-Portalen: Die -Madonna als
Siegerin über die teuflischen Mächte der Vorzeit.
Auch hierbei vereinigen sich wiederum Antike und Christentum,
Deutschland und Italien in edelstem europäischem Wettstreit.
Petrini war in ganz Franken tätig und so finden sich seine
Fratzen auch überall in Franken, vom Untermain über
Tauber bis nach Bamberg.
Abschließend kann man wohl sagen, dass - bei aller Vorsicht
und auch im Falle einer evtl. Überarbeitung - das Schönrain-Massenbucher
Fratzenfragment doch mehr der frühen bis mittleren Romanik,
und zwar der vorhirsauischen in Schönrain, zuzuordnen ist.
Die Kombination von Fratze mit Lebensbaum und Doppelspirale
ist einmalig in Franken, jedenfalls ist mir nichts Ähnliches
bekannt geworden. Besonders wichtig erscheint mir auch, dass
antike Einflüsse, welcher Art auch immer dem hirsauisch-cluniacensischen
Reformideen völlig widersprechen und figurale Plastik in
der vorliegenden Form völlig abgelehnt wird.
Daraus ergibt sich also, dass die Spolie einem vorh'irsauischen
Bau auf Schönrain angehören muss. Hierauf deuten auch
die in den umliegenden Gehöften eingemauerten (wohl umgekehrt
eingemauerten !) Säulen, die noch näher zu betrachten
sein werden.
weiter
lesen: V. - Die hirsauischen Fragmente auf Schönrain
nach oben |
Aus den Schriften des Geschichtsvereins
Lohr a. Main -
"DIE KLOSTERRUINE SCHÖNRAIN",
Kunsthistorische Analyse und Würdigung der Baureste von Dr. Rudolf
Kuhn im Dez. 1974. |


Fratzenfragment
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