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Dr. Rudolf Kuhn
- Die Klosterruine Schönrain - Kunsthistorische Analyse
und Würdigung der Baureste
Schriften des Lohrer Geschichtsvereins
Der Tradition nach - zuletzt erwähnt von Waldemar Klein
(S. 69, Anm. 187) in seiner Publikation „Das Hirsauer
Priorat Schönrain am Main" - stammt die Beweinung
Christi vom Seitenaltar der abgebrochenen Klosterkirche Schönrain,
und zwar setzt er ihn auf die Evangelienseite (Tridentinischer
Observanz). Die Kirche war offensichtlich - nach hirsauer Übung
- dem heiligen Martyrer Laurentius geweiht.
Aus den letzten Jahren des Hirsauer Priorats
Nachdem das Kloster 1525 „geplündert, ausgeprannt
und uff den boden zerschlayfft" worden war und bereits
1526 von Hirsau mit allen Einkünften an die Grafen von
Rieneck verkauft worden war, muss dennoch die Kirche mindestens
größtenteils stehen geblieben sein (wohl infolge
ihrer massiven Bauweise), denn zu den Verkaufsbedingungen gehörte
die Verpflichtung der Rienecker Grafen, den Gottesdienst auf
Schönrain aufrechtzuerhalten und zum Stiftergedächtnis
wöchentlich zwei bis drei Messen lesen zu lassen.
Als Herzog Ulrich 1535 Hirsau säkularisierte, fühlten
sich die Rienecker mit schöner Selbstverständlichkeit
an keinerlei Verpflichtungen mehr gebunden. Das nächste
dürfte wohl gewesen sein, sich des lästigsten Zeugen,
nämlich der Klosterkirche zu entledigen. Man ging sogar
mit solcher deutscher Gründlichkeit vor, dass man die auffälligsten
Ornamentteile, die Säulen nämlich, unter großer
Mühe in den riesigen Keller des nachmaligen Witwensitzes,
der nahezu vollständig aus dem Material der Kirche gebaut
ist und dessen Renaissancepförtchen die Jahreszahl 1556
trägt, transportierte, wo noch heute ein großer Teil
liegt.
Alldem zufolge ist kaum anzunehmen, dass die Gruppe - eine ganz
merkwürdige Kombination einer ausgesprochenen Pietä
und der sonst im Riemenschneider-Bereich üblichen Beweinung
Christi - noch nach 1525 entstanden sein könnte und die
Rienecker haben sie gleich gar nicht in Auftrag gegeben, sondern
sie - sicherlich ebenfalls möglichst umgehend nach Hofstetten
geschafft. So müsste die Entstehung der Gruppe etwa in
die Jahre 1517-22 fallen und dem entspricht auch - soweit überhaupt
möglich - die stilkritische Analyse.
Beschreibung der Pietä
Unter einem breit ausladendem Kreuz mit dem Pergament
INRI sitzt die etwas matronenhafte - einer St: Anna-Darstellung
eigentlich viel ähnlichere Maria, den toten Sohn in einer
halb sitzenden Lage auf dem Boden liegend, jedoch die rechte
Achselhöhle auf das rechte Knie Mariens gestützt.
Die rechte Hand Mariens stützt Christi Haupt mit der dickästigen
Dornenkrone, die linke hebt den leblosen linken Arm Christi.
Der Rock fältelt sich, eigentlich noch ganz in der Art
des ausgehenden 15. Jahrhunderts Über der linken Schulter
Ohristi. Maria trägt ein eng anliegendes Leibchen, darüber
beiderseits über die Arme fallend einen faltenreichen Mantel,
der über Mariens linken Arm in eleganter, knitterfaltenreicher
S-förmliger Kaskade über die Oberschenkel und das
Schamtuch Christi hinabwallt. Über dem Mantel trägt
Maria eine typische nürnberger bzw. rheinische Haube und
ein Halstuch. Der Blick des ziemlich breiten Gesichts, das die
Backenknochen sichtbar werden lässt, mit schmaler langer
Nase, etwas hängenden Mundwinkeln und schrägstehenden
Augen ist in starrem Schmerz in die Ferne gerichtet. Die Gesamthaltung
Mariens ist eindeutig die einer Pietä, lediglich die halb
am Boden kauernde Art Christi erinnert an die zahlreichen Beweinungsdarstellungen
Riemenschneiders und seiner Schule. Bezeichnenderweise kommt
das in Franken so häufige und seit der Gotik überhaupt
so sehr beliebte Vesperbild (vgl. meine Arbeit, Kuhn, Würzburger
Madonnen des Barock und Rokoko, Abschnitt die Pietä) bei
Riemenschneider recht selten vor. So z. B. in der Würzburger
Franziskanerkirche und auf einem Bildstock bei Uissigheim in
Stein im Badischen Frankenland. Links von der
Madonna kniet eine Maria Magdalena, die fast genauso gekleidet
ist wie Maria, abgesehen von einem weiteren altdeutschen Kleid,
allerdings infolge der durch-brochenen Ärmel am Unterarm
in Renaissanceart. Mit der Linken hält sie ein ähnliches
Salbgefäß wie Josef von Arimathäa in Maidbronn,
dahinter - merkwürdig aufgerichtet, die Rechte, die modisch
fast völlig mit StuIpenhandschuhen bedeckt ist, ausgenommen
die Finger, die in einer Schwur- oder Segensgeste angeordnet
sind. Die Haube, wenn auch etwas schmäler als die Mariens,
ist modisch zu einer Haube burgundischer Art um den Hinterkopf
erweitert. Das Gesicht ist Auffallenderweise fast das gleiche
wie das der Madonna, nur etwas jugendlicher, rundlicher und
weniger herabgezogenen Mundwinkeln. Der Blick ist ebenfalls
in starrem, jedoch meditierendem Schmerz in die Ferne gerichtet.
Der Mantel St. Maria Magdalenas ist in eleganter Drapierung
von der rechten Schulter, die er allein bedeckt, in weicheren
- Renaissance - Falten um den Körper drapiert Das linke
Knie dringt durch die Stoffmassen. Ganz deutlich ist der Unterschied
zu den erregt wirkenden gotischen Knitterfalten des Madonnenmantels
zu erkennen. Selbst gegenüber dem noch etwas gotisch knitternden
Falten des St.-Johannes-Evangelista, der - wie man gut am Holze
erkennen kann - der Gruppe später angefügt ist.
Ganz auffallend unriemenschneiderisch sind die verhältnismäßig
kräftigen Füße Christi, die in ihrer gesamten
kräftigen Struktur keineswegs zu dem schlanken Christuskörper
passen, der in seiner Gesamtheit, zusammen mit dem großartig
gearbeiteten Madonnenmantel, am nächsten an Riemenschneider
und seinen Kreis erinnern. Man könnte geradezu daran denken,
dass ursprünglich die Pietä allein vorhanden war und
die Füße des toten Christus sich mehr nach rückwärts
abgewinkelt haben.
Man hat sie offenbar bei der Hinzufügung der beiden Heiligen
abgeändert. Dies aber muss in der Mitte des 16. Jahrhunderts
geschehen sein, etwa um 1560.
Die schwächste Plastik ist die des Evangelisten: er sucht
hilflos in halbkauernder Stellung die Hand Maeiens zu stützen,
seine andere fasst ebenso hilflos den Mantelbausch.
Der Gesichtstyp St. Johannes ist fast genau der gleiche wie
der Mariens und St. Maria Magdalenas: es könnten sämtlich
Geschwister sein. Die Haare St. Johannes' zeigen zwar noch die
etwas an Riemenschneider erinnernde Locken, die intensive Pracht
aber und die weit kurvenden Locken sind dahin. Die einzige andere
Erinnerung an Riemenschneider ist noch der etwas röhrig-knitternde
Mantel St. Johannes, beim Arm Christi, auch noch der Mantelumschlag
dort, der aufgestülpte Saum, erinnert sogar 'an einen Apostel
in Creglingen und an den Christus Salvator der Marienkapelle.
Auch am rechten Knie des Johannes knittert der Mantel noch etwas
gotisch. Es ist aber ein Nachklang: der Oberkörper dringt
kräftig in Schultern und Brust durch das glatte Gewand,
wie auch das rechte Bein. Nur die Hände der Mittelgruppe
haben die riemenschneiderische Schlankheit und Zerbrechlichkeit.
Die Hände der Assistenzfiguren sind geradezu grobschlächtig
dagegen.
Riemenschneiders Beweinungen Zusammenhänge
mit den anderen Riemenschneider-Beweinungen ergeben sich bestenfalls
mit dem Christus der steinernen Beweinung von Heidingsfeld (deren
154 Teile ich mit meinen Kameraden 1945 aus dem Schutt gesiebt
habe, so dass sie Georg Schneider wieder zusammensetzen konnte
und sich nun wieder in der Heidingsfelder Kirche befinden) -
in der Haltung Christi und im Gesichtstyp. Noch mehr aber -
wenn auch spiegelverkehrt - mit der Beweinung des Martin-v.-Wagner-Museums
(Residenz), „Die Hoflidacher Beweinung" ist im Gesichtstyp
Christi besonders ähnlich. Die etwas ungegliederte Gesichtsstruktur
Mariens und der beiden anderen Heiligen erinnern an die Gesichter
der Maidbronner Beweinung, die recht flach und z. T. verschoben
sind.
Wenn man noch dazu weiß, dass St. Johann Ev. eindeutig
an die Gruppe angestückt -ist, so dürfen wir dies
wohl auch für St. Maria Magdalena annehmen. Jedenfalls
aber wird uns bei genauer Betrachtung klar, dass wir ein Werk
aus verschiedenen Händen und mit fast einer Generation
stilistischem Unterschied vor uns haben.
Es ist keineswegs zu weit hergeholt, wenn man annimmt, dass
das Bildwerk 1525 mindestens in seinem Kern, der Pietä
bestand, dass diese Gruppe aber als „geplündert und
geprannt" wurde, schwer in Mitleidenschaft gezogen worden
ist.
Die Ergänzungen haben in späterer Zeit stattgefunden,
von einer Hand jedoch, die offensichtlich mehr von Mainzer Einflüssen
geführt war. - Einzelheiten könnten natürlich
nur dann eindeutig festgestellt werden, wenn das blanke Holz
zutage liegt.Jedenfalls aber ist dieser letzte Rest der Innenausstattung
der zerstörten Klosterkirche von Schönrain ein hervorragendes
Kunstwerk, das gerade durch seine stilistische Verschiedenheit
von besonderem Reiz ist, weil es an der Grenze der Zeiten steht
wie selten eines in unserer Heimat. |
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Aus den Schriften des Geschichtsvereins Lohr a. Main -
"DIE KLOSTERRUINE SCHÖNRAIN",
Kunsthistorische Analyse und Würdigung der Baureste von Dr. Rudolf
Kuhn im Dez. 1974 |
 Weitere Relikte von Schönrain in der Hofstettener
Kirche:
Taufbecken
aus einem frühromanischen Kapitell
Schachbrett-Fries
Stein mit der bekannten Musterung im Eingangsbereich
des Kirchengeländes
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